Süßwasserqualle taucht in Bayerns Seen auf

von Redaktion

VON CORNELIA SCHRAMM

Planegg/Martinsried – Sie ist nur so groß wie ein Zwei-Euro-Stück und trotzdem ein Rätsel für die Wissenschaft: die Süßwasserqualle „Craspedacusta sowerbii“. Daheim ist sie eigentlich im fernen Asien, im Jangtse-Fluss in China – und trotzdem werden die wabbeligen, weißen Tiere mittlerweile auch in Flüssen und Seen in Bayern immer öfter von Badenden gesichtet. In warmen Sommern wie diesem gibt es mehr von ihnen, vermuten Forscher.

Sabine Gießler ist fasziniert von den Einwanderern aus China. Die 66-Jährige lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität Aquatische Ökologie. Im Labor der Fakultät für Biologie in Planegg im Kreis München schwimmen Dutzende Süßwasserquallen in einem Aquarium. „In dieser Form sind die Quallen optisch natürlich sehr auffällig für Schwimmer und Taucher“, sagt sie. „Aber dieses Stadium ist eigentlich nur ein kurzer Teil ihres Lebenszyklus.“

Craspedacusta sowerbii – das sind auch abertausende, winzig kleine Polypen von ein bis zwei Millimetern Größe, die im Wasser auf Steinen, Holz, Pflanzen oder auch an Booten oder Stegen „andocken“, so Gießler. Nur zur sexuellen Fortpflanzung schnüren sie männliche und weibliche „Medusen“ ab, die sich zu auffälligen Schwarm-Tieren entwickeln, die wir im Wasser mit bloßem Auge erkennen.

„Im Labor überleben die Quallen leider nur fünf bis sechs Wochen“, sagt Gießler. „In der Natur leben die bis zu zwei Zentimeter großen Tiere länger.“ Allerdings trifft man sie nur von Sommer bis Herbst an. Die winzigen Polypen, die man nur unter dem Mikroskop erkennt, überleben hingegen auch den Winter. „Die Nesseltiere sind hoch entwickelt“, sagt Gießler, „In ihrer sexuellen Form schwimmen sie pulsierend durchs Wasser und reagieren auf Lichtreize. Am Tag schwimmen die meisten Quallen weit unten im See, um ihre Eier und Spermien vor UV-Licht zu schützen, und in der Nacht tauchen sie nach oben und folgen so ihrer Nahrung.“ Gießler hat lange Wasserflöhe erforscht. „Die sind das Futter der Qualle.“ Und weil die Süßwasserqualle so mit Fischen und anderen heimischen Räubern konkurriert, beeinflusst sie das Nahrungsnetz im See. Auch die Quallen-Polypen fressen Zooplankton. „Etwa Rädertierchen und Mini-Würmchen. Letztere schlürfen sie wie Spaghetti, bis sie fast platzen.“

Dass es durch den Klimawandel immer wärmer wird, begünstigt ihre Verbreitung. „In Österreich wurden schon Schwärme von bis zu 1000 Tieren gesichtet, das sah aus wie ein Meer aus Seifenblasen“, sagt Gießler. Im Inn, in der Donau, in der Isar haben Studenten Steine gesammelt und vom Haager Weiher bei Freising bis zum Weicheringer See nach Quallen geschorchelt. „Wir haben über 100 Gewässer beprobt – und in 70 Prozent der Fälle Polypen gefunden“, sagt sie. „Das sind nur Stichproben, da die Tiere schwer zu finden sind. Aber ich gehe davon aus, dass es sie in fast jedem Gewässer gibt. Schließlich befinden sich Polypen auch im Gefieder von Wasservögeln oder an Booten und werden so von See zu See transportiert.“

Bereits 1905 haben Münchner Forscher die Süßwasserqualle im Alten Botanischen Garten gesichtet. 1880 wurde sie erstmals in London entdeckt. Um die Jahrhundertwende florierte der Handel mit Asien. Gärten mit Seerosenteichen und Aquarien waren modern. „Man vermutet, dass die Polypen beim Handeln mit Wasserpflanzen eingeschleppt wurden“, sagt Gießler. Den blinden Passagier erkannte niemand.

Bis heute gibt es noch viele Fragen: Wovon hängt es ab, dass Polypen Quallen bilden? Wie verbreitet sich die Art? Schadet sie dem heimischem Ökosystem? Welche Fressfeinde hat sie? Eines aber steht fest: „Die Süßwasserqualle ist für Menschen völlig harmlos. Ihre Nesselzellen können unsere Haut nicht durchdringen“, sagt Gießler. „Zudem sind die Quallen ein Zeichen für eine sehr gute, saubere Wasserqualität.“

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