Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) will mit größeren Gruppen auf den Erziehermangel in den Kitas reagieren. Ihre Ankündigung hat bei den Fachkräften für viel Ärger gesorgt (siehe Kasten). Fabian Waidacher leitet das Waldorfkinderhaus in Tutzing im Kreis Starnberg. Er erklärt, was die neue Regelung für den Alltag bedeutet.
Warum haben Sie sich für Ihren Beruf entschieden?
Für mich war immer klar, dass ich etwas mit Kindern machen wollte. Ich habe mich gegen den Lehrerberuf entschieden, weil ich nicht so sehr an Lehrpläne gebunden sein wollte. Ich wollte fördern – und den Kindern einen Ort geben, an dem sie sich aufgehoben fühlen.
Künftig ist eine Fachkraft für 15 Kinder zuständig. Da bleibt nicht viel Zeit für Förderung. Wie sehr frustrieren Sie die Arbeitsbedingungen?
Sehr. So große Gruppen halte ich für nicht kindgerecht. Das belegen auch Studien – die Geschlechtertrennung und Ausgrenzung ist dann größer. Ideal wären halb so große Gruppen. Allein die Lautstärke bedeutet Stress – auch für die Kinder. Das können alle Eltern nachvollziehen, die mal einen Kindergeburtstag organisiert haben.
Welche Folgen hatten die Personalausfälle in den vergangenen Wochen?
Viel ist liegen geblieben, zum Beispiel die Büroarbeit. Ich habe im letzten Jahr über 100 Überstunden aufgebaut. Urlaubsplanung war nur noch spontan möglich. Und natürlich hat auch die Förderung der Kinder gelitten.
Ulrike Scharf plant nun langfristig so große Gruppen und eine Betreuung durch weniger qualifiziertes Personal, um den Erziehermangel aufzufangen.
Das ist ein Desaster. Vor allem, dass sie das als Qualitätsverbesserung bezeichnet. Sie könnte auch ehrlich sagen, dass wir einen Fachkräftemangel haben und den Rechtsanspruch auf Betreuungsplätze nicht erfüllen können – zumindest nicht in der wünschenswerten Qualität.
Werden nun noch mehr Erzieher aufgeben?
Viele sind ideologisch und lieben ihren Beruf. Dazu zähle ich auch. Aber mir ist klar, ich werde das nicht bis ins Rentenalter weitermachen können. Erzieher haben im Schnitt 18,9 Krankheitstage im Jahr – fünf Tage mehr als andere Berufsgruppen. Und überwiegend wegen psychischer Probleme, weil die Belastung und der Druck so groß sind. 50 Prozent der neu ausgebildeten Erzieher verlassen den Beruf in den ersten fünf Jahren wieder, weil sie die enorme Verantwortung nicht tragen wollen. Es fehlen 64 000 Fachkräfte – und die Kinderzahl steigt.
Wie groß ist das Verständnis der Eltern?
Wir sind in einer privilegierten Situation, der Träger unserer Einrichtung ist ein gemeinnütziger Verein, die Eltern bringen sich sogar mit Arbeitszeit ein. Das können natürlich nicht alle. Viele private Einrichtungen verdienen durch die neue Regelung auch mehr Geld. Aber sollten mit Kindertageseinrichtungen Profite gemacht werden?
Was wird sich durch die neue Regelung für die Kinder ändern?
Es ist damit ausgeschlossen, individuell auf die Kinder einzugehen. Wenn ein Kind weint oder von der Schaukel fällt, sind andere unbeaufsichtigt. Kleinkinder brauchen viel Zuwendung, zum Beispiel morgens, wenn die Eltern gehen. Wie soll das künftig bei 15 Kindern funktionieren?
Mit Ihrem Plan reagiert die Ministerin auf eine Notlage. Welche Hilfen hätten Sie sich gewünscht?
Geholfen hätte es, die staatlichen Förderbeiträge zu erhöhen. So könnten wir die Gruppengrößen halbieren. Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestbetreuungsschlüssel. In dem Bündnis, das die Ministerin berät, sitzen Wohlfahrtsverbände und Kommunen, aber niemand, der in dem Beruf arbeitet. Ich wünsche mir, dass sich das ändert.
Dafür bräuchten wir aber auch mehr Fachkräfte.
Stimmt. Aber man entscheidet sich nur für einen Beruf, wenn man weiß, dass die Arbeitsbedingungen gut sind. Nicht wenn man allein 15 Kinder betreuen muss. Auch die Löhne müssten angehoben werden. Besonders in den Ballungsräumen können es sich junge Menschen nicht leisten, Erzieher zu werden.
Würden Sie sich mit dem Wissen von heute wieder für den Beruf entscheiden?
Ja. Wenn ich ihn nicht lieben würde, hätte ich längst aufgegeben. Interview: Katrin Woitsch