„Extremisten lieben Krisen“

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER

München – Wie radikal sind sie wirklich? Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hält die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz für gerechtfertigt. Ziel sei es herauszufinden, ob der gesamte Landesverband von einer „verfassungsfeindlichen Grundtendenz beherrscht werde“, sagte der CSU-Politiker bei der Vorstellung einer Halbjahresbilanz des Verfassungsschutzes.

Der stuft die AfD seit Kurzem als Beobachtungsfall ein, wie Recherchen unserer Zeitung gezeigt haben. Das heißt, die Verfassungsschützer dürfen Telefonate abhören, Mails abfangen oder V-Leute einsetzen. Ausgenommen sind Abgeordnete, für deren Beobachtung höhere Hürden gelten. Das bedeutet aber nicht, dass über sie keine Erkenntnisse gesammelt werden können.

„Wir dürfen nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln in den Kernbereich der Abgeordnetentätigkeit vordringen“, sagte Verfassungsschutz-Chef Burkhard Körner. „Zufallserkenntnisse sind aber weiterhin legitim.“ Heißt: Nicht öffentliche Fraktionssitzungen im Landtag sind tabu. Gegen den Einsatz von V-Leuten bei Parteitagen spricht aber nichts, obwohl dort auch Abgeordnete anwesend sind.

Es gebe Kontakte zu rechtsextremen Gruppen wie der Identitären Bewegung oder zur völkischen Studentenverbindung Danubia, sagte Körner. Basis für die Beobachtung der AfD sei aber die Beobachtung der Bundespartei. Sie lehne demokratische Strukturen ab und delegitimiere sie, was etwa an Begriffen wie „Systempresse“ oder „Kartellparteien“ sichtbar werde.

Die Sorgen der Sicherheitsbehörden gehen aber weit über die AfD hinaus. Extremisten aller Art versuchten, die aktuellen Krisen für sich zu nutzen, sagte Herrmann. „Extremisten lieben Krisen.“ Die schnelle Abfolge von Pandemie, Naturkatastrophen und Krieg sei der „ideale Nährboden, um Misstrauen gegen den Staat zu säen und nachvollziehbare Ängste durch demokratiefeindliche Propaganda immens wachsen zu lassen“. Ungeachtet der ideologischen Differenzen teilten alle Extremisten das Ziel, die Demokratie zu zerstören.

Nach wie vor versuchten Gruppen etwa aus dem Spektrum der Corona-Proteste, staatliches Handeln zu diskreditieren. Waffenlieferungen an die Ukraine würden als Kriegstreiberei, die Energieknappheit als staatlich gewollt dargestellt. „Die Szene hält die Zeit für eine Wiederbelebung der Massenproteste für gekommen“, sagte Herrmann. Die Gewaltbereitschaft hält er weiterhin für hoch.

Dabei versuchten viele Extremisten, sich einen bürgerlich-harmlosen Anstrich zu geben. Teilweise gilt das auch für Rechtsextreme (etwa die NPD oder die Identitäre Bewegung). Zugleich gibt es neue Organisationen wie die NSP (Neue Stärke Partei), die unverhohlen neonazistisches Gedankengut verbreiten.

Wie die rechts- hofft auch die linksextreme Szene, mögliche Proteste im Herbst für einen „Systemumsturz“ zu nutzen. Derzeit rufe sie vermehrt zu Sabotageakten etwa gegen Rüstungsunternehmen auf, sagte Herrmann. Interessant: Die Sicherheitsbehörden sehen keine Anzeichen dafür, dass Linksextremisten die Klimabewegung unterwandern. Die antikapitalistische Erzählung verfange bei einem Großteil der Klimaaktivisten nicht.

Herrmann rief zudem dazu auf, auch den islamistischen Extremismus nicht aus den Augen zu verlieren. Er werbe wieder verstärkt um Mitglieder in Europa, vor allem online. In diesem Zusammenhang appellierte er an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), den Expertenkreis politischer Islam nicht wie geplant aufzulösen.

Herrmann warnte vor russischen Desinformationskampagnen und Kollateralschäden durch Cyber-Angriffe. Konkrete Hinweise für Angriffe gegen bayerische Firmen oder Behörden im Zusammenhang mit dem Krieg gebe es aber nicht.

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