München – Der Tag, an dem Lukas Rautenberg und Sebastian Mack Lebensretter werden, ist ein kalter Februartag. Die beiden Freunde aus Eichenau stehen am Bahnhof in Gernlinden im Kreis Fürstenfeldbruck und warten auf den Zug, als sie plötzlich Schreie hören.
Zwei junge Männer streiten sich lautstark an der Bahnsteigkante. Plötzlich holt einer aus und schlägt dem anderen mit der Faust mitten ins Gesicht. Der 17-Jährige fällt rückwärts auf die Gleise. Er ist nicht bewusstlos, kann aber ohne Hilfe nicht mehr aufstehen. Lukas Rautenberg und Sebastian Mack laufen los, genau wie die damals 15-jährige Sandra Bauer – die beiden Schulfreunde kennen das Mädchen nicht, aber es dauert nur Sekunden, bis sie ein Lebensretter-Team sind. Lukas und Sandra springen auf die Gleise und ziehen den 17-Jährigen an die Bahnsteigkante. Von dort zieht Sebastian ihn nach oben.
Den drei Jugendlichen gelingt es, den Verletzten in Sicherheit zu bringen, bevor der Zug einfährt. Sie legen eine Jacke unter seinen Kopf und machen das, was sie im Erste-Hilfe-Kurs, den sie für den Führerschein machen mussten, gelernt haben. „Wir haben ihn in die stabile Seitenlage gelegt und kontrolliert, dass er atmet“, erzählt Sebastian Mack. Plötzlich ist er froh, dass er den Erste-Hilfe-Kurs machen musste, erzählt er bei der Ehrung. So habe er sich nicht so hilflos gefühlt.
Erst als der junge Mann in eine Klinik gebracht wird, begreifen die drei Jugendlichen, was gerade passiert ist. „In dem Moment hat man keine Zeit zum Nachdenken“, sagt Lukas Rautenberg. „Die ganze Situation war völlig surreal.“ Sandra Bauer haben sie nie wieder gesehen. Sie konnte gestern bei der Ehrung nicht anwesend sein. Lukas Rautenberg und Sebastian Mack hätten sie gerne noch mal getroffen.
Neben den beiden Eichenauern haben gestern 34 weitere Männer und Frauen eine Rettungsmedaille überreicht bekommen. 34 Bayern wurden mit der Christophorus-Medaille ausgezeichnet. Sie alle haben Menschen aus dem Wasser oder aus brennenden Gebäuden gerettet, waren Ersthelfer bei Unfällen oder haben Menschen im letzten Moment vor lebensgefährlichen Situationen bewahrt. Der jüngste Lebensretter war neun, der älteste 79. „Sie beweisen, dass es keine Frage des Alters oder des Geschlechts ist, ein Retter in der Not zu sein – sondern eine Frage der Herzenshaltung“, sagt Ministerpräsident Markus Söder, bevor er in der Residenz die Medaillen überreichte. „Sie geben uns das Vertrauen, dass es in unserer Gesellschaft Helden gibt und dass wir alle über uns hinauswachsen und Helden werden können.“
Sebastian Mack und Lukas Rautenberg würden sich selbst nicht als Helden bezeichnen. Über die Auszeichnung haben sie sich trotzdem gefreut. Vor allem aber darüber, dass es dem 17-Jährigen gut geht. Das haben sie nach ihrer Rettungstat von der Polizei erfahren. Auch ihn haben sie nie wieder gesehen. Die meisten ihrer Freunde wissen nicht, dass sie nun eine Rettungsmedaille besitzen. Vielleicht erzählen sie es irgendwann mal. Vielleicht bleiben sie auch stille Helden – so wie bisher. KATRIN WOITSCH