München – Christoph Hahn, Bayerns Schwammerl-Präsident, hat in seinem Leben schon unglaublich viele Fliegenpilze gesehen. Und trotzdem: Jedes Mal, wenn er im Wald unterwegs ist und den Schwammerl mit der roten Kappe und den lustigen weißen Tupfen sieht, muss er lächeln. „Ein unglaublich schöner Pilz“, sagt Hahn, Präsident der Bayerischen Mykologischen Gesellschaft.
Das ist auch der Grund, warum der Fliegenpilz „Pilz des Jahres 2022“ geworden ist. „Wir haben uns für den Fliegenpilz entschieden, weil er ein sehr schöner, auffälliger und bekannter Pilz ist“, heißt es bei der Deutschen Gesellschaft für Mykologie (DGfM), die heuer 100 Jahre alt wird.
Kurios ist das schon: Der Fliegenpilz ist giftig. Sein Genuss löst Übelkeit, Magen-Darm-Probleme, Verwirrung oder Rauschzustände aus. Und trotzdem ist er beliebt wie kein anderer Schwammerl. „Er ist ein Glückssymbol, alle kennen ihn aus Märchen, aus Bilderbüchern, von Geschenkpapier“, sagt Christoph Hahn. Doch woher kommt das? Hahn glaubt, dass die Menschen früher schon gerne einen Rausch erlebt haben – mit Fliegenpilzen war das schon möglich, als es noch keinen Alkohol für jedermann gab. Schamanen trockneten ihn im 17., 18. und 19. Jahrhundert und aßen ihn als Rauschmittel. Verantwortlich für die psychotrope Wirkung ist das zwar nur in kleiner Menge im Pilz vorkommende, aber hochgiftige Muscimol. Der Stoff gab dem Fliegenpilz seinen lateinischen Namen „Amanita Muscaria“. Weniger giftig, dafür in umso größerer Menge im Pilz enthalten, ist die Ibotensäure. Sie verursacht die körperlichen Beschwerden. „Todesfälle durch den Genuss des Fliegenpilzes sind aber selten“, heißt es bei der DGfM.
Christoph Hahn, der selbstverständlich vor dem Konsum des Fliegenpilzes warnt, kennt noch eine Anekdote zum Namen: Früher weichten die Menschen den Fliegenpilz in Milch und Zucker ein, um lästige Fliegen anzulocken. Tranken die Fliegen die Flüssigkeit, lagen die Fliegen wenig später leblos herum – das Gift betäubte, tötete aber nicht.
Der weltweit vorkommende Giftpilz zeigt sich gehäuft von September bis November, in bayerischen Wäldern sprießt er gerade besonders – wie alle anderen Schwammerlsorten auch. Wegen der lang anhaltenden Trockenheit im Sommer hat es länger gedauert, bis die Pilze ihre Fruchtkörper ausbilden.
Geschützt werden muss der Fliegenpilz derzeit nicht – er führt laut Hahn ein recht stabiles Dasein. Dennoch hat die Gesellschaft für Mykologie in diesem Jahr erneut zu einer Kartierungsaktion des Fliegenpilzes aufgerufen – vor allem, um die Menschen zu Spaziergängen zu motivieren. Pilzvereine und andere Pilzkenner können Fundorte des Fliegenpilzes melden. Auch Laien haben gute Chancen, den roten Pilz zu finden.
Christoph Hahn, der in Dießen am Ammersee lebt, hat noch einen Tipp: Wer einen Fliegenpilz unter Fichten entdeckt, sollte noch einmal genauer hinschauen. Meistens wachsen nämlich ganz nah auch Steinpilze.