Zu den vielen kaum bekannten Helfershelfern im Holocaust gehört auch der Eisenbahner Albert Ganzenmüller. Die Vita des ehemaligen Staatssekretärs im Reichsverkehrsministeriums ist kaum bekannt. In einem neuen Sammelband über NS-Täter (Täter, Helfer, Trittbrettfahrer. NS-Belastete aus Niederbayern, Kugelberg Verlag, 23,99 Euro) wird Ganzenmüllers Beteiligung an der Judenvernichtung breiter dargestellt.
Ganzenmüller (1905–1996) wird zumeist als unpolitischer Technokrat angesehen. Dabei war er ähnlich wie der Rüstungsminister Albert Speer ein NS-Ideologe von hohen Graden. Die Justiz hatte ihn seit den 1950er-Jahren auf dem Radar, weil Ganzenmüller bei der Bereitstellung von Transportzügen zur Judenvernichtung half. Doch ein Prozess vor dem Schwurgericht Düsseldorf 1973 wurde nach einem Herzinfarkt des Angeklagten nach wenigen Tagen eingestellt.
Schon als Jugendlicher geriet Ganzenmüller, der in Passau geboren wurde, aber von seinen Eltern auf ein Münchner Realgymnasium geschickt worden war, in den Dunstkreis rechtsradikaler Verbände. Der 17-Jährige engagierte sich im „Bund Bayern und Reich“, seine Gruppe machte als Teil der „Reichskriegsflagge“ im November 1923 beim Hitlerputsch mit und war dabei an der Schönfeldstraße stationiert. Juristische Folgen hatte seine Beteiligung am Putsch nicht. Nach dem Abitur studierte Ganzenmüller Maschinenbau, stieß zur Reichsbahn und machte im Reichsbahn-Zentralamt München rasch Karriere. Aber sein Engagement im Rechtsradikalismus hielt an. 1931 wurde er Mitglied der NSDAP, seiner Mitgliedschaft in der schlagenden Münchner Verbindung Corps Rheno-Palatia verdankte er seinen markanten Schmiss auf der linken Backe.
Ganzenmüllers Stunde schlug im Zweiten Weltkrieg. 1941 schickte ihn die Reichsbahn nach Poltawa in die östliche Ukraine, wo er die Haupteisenbahndirektion Ost übernahm. Er sollte die Transportkrise der Bahn dort managen – das Eisenbahnnetz war überaltert und halb zerstört, zudem verhinderte die größere Spurweite den raschen Transport von Gütern und Soldaten der Wehrmacht in den Osten. „In dieser Situation bewährte sich Ganzenmüller offenbar als Krisenmanager“, schreibt Autor Eggert Blum. Im Mai 1942 wurde Ganzenmüller, von Hitlers Günstling Albert Speer protegiert, zum Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium ernannt.
Zum wichtigsten Dokument der Strafverfolgung wurde ein Lagebericht Ganzenmüller an den persönlichen Adjutanten des SS-Führers Heinrich Himmler, nachdem sich die SS über mangelnde Kapazitäten der Reichsbahn für den Transport von Juden in die Konzentrationslager beschwert hatte. Der Staatssekretär bestätigte darin Güterzugtransporte mit Juden von Warschau und Przemysl in die NS-Vernichtungslager Treblinka und Belzec.
Nach dem Krieg zunächst in Argentinien untergetaucht, kehrte Ganzenmüller 1955 zurück und arbeitete bis zur Rente 1968 beim Stahlkonzern Hoesch. Erst im Ruhestand holte ihn die NS-Vergangenheit ein, aber letztlich blieb er straffrei. Er lebte, als verhandlungsunfähig eingestuft, aber durchaus rüstig, noch 23 Jahre in seiner speziell gesicherten Münchner Wohnung in der Widenmayerstraße sowie in seinem Ferienhaus in Oberjoch im Allgäu – keiner kümmerte sich mehr um diesen Holocausttäter. DIRK WALTER