NATALIAS NEUANFANG

Eine Reise nach Paris

von Redaktion

Der Krieg dauert seit 218 Tagen. Neben der ständigen Bedrohung durch einen Raketenangriff sehen die Bewohner meiner Heimatregion jetzt jeden Tag iranische Drohnen am Himmel. Sie sind klein und fliegen tief, was es für ukrainische Luftverteidigungssysteme schwierig macht, sie zu verfolgen. In den letzten Tagen gab es bereits Verwundete und Tote durch diese neuen Waffen. Ich bitte meine Eltern oft, nicht nach draußen zu gehen.

Dank meiner Arbeit in einem französischen Software-Unternehmen bin ich sehr beschäftigt. Im September war ich zum zweiten Mal auf einer Arbeitsreise nach Paris, wo sich der Hauptsitz unseres Unternehmens befindet. Dort verbrachte ich eine Woche. Die Firma organisierte für uns eine vierstündige Bootstour auf der Seine am Abend. Es war immer mein Traum, mit so einem Boot die Seine runterzufahren. Wir sind durch die Tunnel, über Brücken und durch das historische Kanalsystem der Stadt gelaufen. Dort war alles wunderschön beleuchtet und der Eiffelturm funkelte. Da unser Hotel in Montmartre war, konnte ich das höchstgelegene Viertel von Paris besuchen – der Hügel im Norden mit seiner imposanten weißen Basilika Sacré-Coeur, die eine der berühmtesten Pariser Sehenswürdigkeiten ist. Ich habe auch den Pariser Künstlerplatz Place du Tertre, die alten Mühlen von Montmartre und das weltbekannte Carabet Moulin Rouge gesehen. Was mich aber am meisten beeindruckt hat, war der Friedhof Cimetière de Montmartre. Er umfasst heute etwa 20 000 Gräber, einschließlich Berühmtheiten wie Heinrich Heine, Emile Zola, Stendhal, Hector Berlioz, Edgar Degas, Dalida, Alexandre Dumas und viele andere. Ich erinnere mich, dass wir in der Uni Gedichte von Heinrich Heine gelesen haben. Ich fand sein Grab. Auf der Grabplatte ist sein Gedicht „Wo?“ eingraviert. Die letzten Zeilen gefallen mir am besten:                              Immerhin mich wird umgeben                                Gotteshimmel, dort wie hier.                             Und als Todtenlampen schweben                                Nachts die Sterne über mir Paris ist eine sehr laute Stadt. Auf allen Straßen ist immer viel Verkehr. Mitten in der Stadt mit diesem Friedhof einen ruhigen Ort gefunden zu haben, war meine Rettung. Dort fühlte ich Frieden. Als ich näher an die neugotischen Mausoleen herantrat, konnte ich an der Rückwand schöne Buntglasfenster entdecken. Es ist wie mit den Menschen: Man muss einer Person immer erst etwas näherkommen, um ihre Schönheit zu erkennen. Paris ist eine unglaublich schöne Stadt. Aber leben möchte ich dort nicht. München gefällt mir besser. Vielleicht ist mir diese Stadt auch so an Herz gewachsen, weil ich hier so herzlich aufgenommen wurde.

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