Der Kampf der Ukrainer für das Recht auf Freiheit und Unabhängigkeit dauert seit 225 Tagen. Die Situation hat sich in den letzten Wochen stark verschlechtert. Russland terrorisiert die Bevölkerung weiter mit iranischen Drohnen, die auch zivile Gebäude explodieren lassen. Fragmente einer dieser Drohnen sprengten die Fenster im Speisesaal meiner Universität in Odessa, die Studenten mussten evakuiert werden. Einwohner der Stadt versuchen, die Tore von Häusern mit Codeschlössern immer offen zu halten, sodass sich jeder dort in Sicherheit bringen kann. Inzwischen wurden mehr als 15 Prozent des ukrainischen Territoriums, das der Fläche Portugals entspricht, von Russland annektiert. Konzerte finden nicht mehr in Konzertsälen, sondern in U-Bahn-Stationen statt, Uni-Vorlesungen nicht mehr in Lehrsälen, sondern in Bunkern der Universität. Das ist die neue Realität für die Ukrainer. In den sieben Kriegsmonaten hat es in meiner Heimatregion 439 Luftalarme mit einer Dauer von 14 Tagen und 17 Stunden gegeben. Fünf Menschen starben beim Schwimmen im Meer in Odessa wegen Minen. Eine ganze Familie starb bei einem Raketenangriff auf die Stadt Dnipro, und das Foto ihres verwirrten und trauernden Hundes zwischen den Ruinen des Hauses verbreitete sich auf der ganzen Welt und wurde zu einem neuen Symbol unsäglicher Grausamkeit. Ich habe große Angst, dass sich alle an solche Ereignisse gewöhnen werden.
Letzte Woche war ich das erste Mal auf dem Oktoberfest. Ich bin froh, dass ich an diesem Volksfest, zu dem Menschen aus der ganzen Welt kommen konnten, teilnehmen konnte. Natürlich hatte ich davon gehört, als ich noch in der Ukraine lebte. Ich hatte das Glück, den Einzug der Wiesn-Wirte und Brauereien mit ihren Kutschen zu sehen. Das war spannend, aber ich hatte auch Mitleid mit den prachtvoll geschmückten Pferden, die in einem solchen Lärm und in einer so ungewöhnlichen Umgebung sein mussten. Ich war auch einmal auf der Theresienwiese. Da ich kein Bier trinke, bin ich nicht in die Zelte gegangen, sondern nur herumgelaufen. Ich habe mir die schönen bayerischen Trachten angeschaut und bin mit dem Freefall gefahren. Dort oben habe ich für ein paar Momente eine hervorragende Sicht genossen – dann bin ich 80 Meter in die Tiefe gestürzt. In der Ukraine würde ich so was niemals riskieren, aber hier war ich mir sicher, dass dieses Fahrgeschäft sehr sicher ist. Oktoberfest bedeutet für mich Dirndl, aufregende Attraktionen und einfach tolle Stimmung.