Mit anonymen Hinweisen auf Täterjagd

von Redaktion

INTERVIEW Zwei Staatsanwälte über ihren Kampf gegen Korruption im Gesundheitswesen

München – Ende September bei Würzburg. Bei einer Razzia durchsucht die Polizei mehrere Gebäude und ein Anwesen, in dem pflegebedürftige Menschen untergebracht sind. Drei Betreiber eines ambulanten Pflegedienstes werden festgenommen. Sie sollen jahrelang die Pflegekasse betrogen haben, indem sie Leistungen abrechneten, die sie gar nicht erbracht haben. Schaden: 2,5 Millionen Euro. Die Pflegebedürftigen waren in einem schlechten gesundheitlichen und hygienischen Zustand.

Die Ermittler wurden auf diese Missstände durch einen anonymen Hinweis aufmerksam – und zwar über eine neue Plattform, die es seit einem Jahr gibt (siehe Kasten). Wir sprachen darüber mit Oberstaatsanwalt Philip Engl (48) und Staatsanwältin Grit Stottok (46), die das System zusammen eingeführt haben.

Wer zeigt über das anonyme System Missstände an?

Stottok: Das ist sehr gemischt. Sowohl Mitarbeiter bei Pflegediensten, aber auch Angehörige oder Mitarbeiter von anderen Firmen im Gesundheitsbereich. Genauso war das auch von Anfang an gewünscht. Die ganze Palette.

Und was zeigen die Hinweisgeber an?

Engl: Das ist sehr vielfältig. Zum Beispiel den Arzt, der falsch abrechnet. Oder den Pflegedienst, der mit Patienten zusammenarbeitet, um eine höhere Pflegestufe zu erreichen.

Man konnte ja schon immer anonyme Anzeigen erstatten. Was ist der Vorteil des neuen Systems?

Engl: Die Erstmeldung unterscheidet sich nicht von der klassischen anonymen Mitteilung, die bislang zum Beispiel über einen Brief zu uns gekommen ist. Entscheidend ist, dass wir jetzt Rückfragen stellen können. Und zwar unter Wahrung der Anonymität. Das ist technisch gewährleistet. Wir können überprüfen, wie werthaltig der Hinweis ist. War da jemand nur unzufrieden mit dem Arzt oder ist das ein ernster Hinweis? Vorher hatte man den Brief und damit musste man arbeiten. Es wäre ja Wahnsinn, wenn man auf jede anonyme Anzeige hin eine Arztpraxis durchsuchen würde.

Welche Ermittlungen haben Sie denn nach einem anonymen Hinweis aufgenommen?

Engl: Wir haben verschiedene Ermittlungsverfahren laufen. Wir haben aber auch Durchsuchungsbeschlüsse beantragt und vollzogen, andere operative Maßnahmen durchgeführt wie zum Beispiel Telefonüberwachung oder Observation. Das kann sinnvoll sein, wenn man zum Beispiel wissen will, ob eine Teststelle, die Bürgertests durchführt, wirklich testet und ob die Zahlen dort stimmen können.

Trauen sich Menschen mit dem neuen System eher, Betrug oder Korruption anzuzeigen?

Stottok: Den Eindruck haben wir tatsächlich gewonnen. Aber die Menschen zeigen deshalb nicht leichtfertiger an. Es ist nicht so, dass durch das System viel mehr Anzeigen kommen, die nicht werthaltig sind. Engl: Nicht die Quantität der Hinweise ist uns wichtig, sondern die Qualität.

Warum ist die Anonymität im Gesundheitsbereich so wichtig?

Engl: Korruption spielt sich regelmäßig in Hinterzimmern ab zwischen Personen, die alle einen Vorteil daraus ziehen. Normalerweise bekommen Sie da keine Strafanzeige. Man muss darauf hoffen, dass bei irgendeinem das schlechte Gewissen durchschlägt. Aber das Risiko einer namentlichen Anzeige will derjenige dann oft persönlich auch nicht eingehen. Ohne Insider sind Ermittlungen in diesem Bereich aber oft nicht erfolgreich.

Bei wem gehen die Anzeigen ein?

Engl: Frau Stottok und ich loggen uns jeden Morgen ein und schauen, ob da was Neues ist. Dann überprüfen wir die Meldung auf die Werthaltigkeit. Wenn wir denken, da ist was dran, dann wird sie an die Staatsanwälte in der Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption verteilt. Wir bekommen irrtümlicherweise auch Pflegemängel-Hinweise oder im Rahmen der Pandemie Hinweise auf gefälschte Impfpässe. Die filtern wir raus und leiten sie an die zuständigen Staatsanwaltschaften weiter.

Was ist der dickste Fisch, der Ihnen ins Netz ging?

Engl: Alle Fälle, die wir über das System bekommen haben, laufen noch. Darüber können wir nicht sprechen. Aber ein Beispiel: Ein Hinweisgeber hat uns gewisse Dinge geschildert, wir haben ein Objekt durchsucht. Als wir fertig waren, hat sich der Hinweisgeber wieder gemeldet, dass wir noch nicht alles gefunden haben. Das hat dazu geführt, dass wir noch mal durchsucht haben.

Und haben Hinweisgeber auch schon mal einen Rückzieher gemacht?

Stottok: Ja. Immer wieder werden konkretere Angaben benötigt, um ermitteln zu können. Aus Angst, dadurch identifizierbar zu werden, schrecken manche davor aber zurück. Das respektieren wir dann natürlich.

Interview: Carina Zimniok

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