Tschechien plant Mini-AKWs im Grenzgebiet

von Redaktion

VON MICHAEL HEITMANN UND KATHRIN ZEILMANN

Prag/Bayreuth – Die Bundesregierung will im April endgültig Abschied von der Atomkraft als Energiequelle nehmen. Anders sieht die Sache im Nachbarland Tschechien aus: Dort will das liberalkonservative Kabinett den Anteil der Atomkraft an der Stromproduktion bis 2040 auf mehr als die Hälfte erhöhen. Eine Schlüsselrolle könnten Mini-AKWs spielen – Kernkraftwerke im Kleinformat.

Petr Zavodsky ist innerhalb des teilstaatlichen Energiekonzerns CEZ für die AKW-Ausbaupläne verantwortlich. „Es handelt sich um Druckwasserreaktoren mit dem gleichen Funktionsprinzip wie bei größeren Reaktoren, aber mit geringerer Leistung“, erklärt er. Auch hier entstehe Dampf, der eine Turbine und einen Generator antreibe, der wiederum Strom erzeuge. Nicht nur die Leistung sei geringer – auch die Investitionskosten.

Das neue Zauberwort der Nuklearindustrie heißt Small Modular Reactor (SMR) – also kleine modulare Reaktoren. Das seien keine Reaktoren aus Russland oder China, sondern nur Produkte westlicher Hersteller, betont Zavodsky. Zunächst will man in Prag die Erfahrungen mit der neuen Technik in einem anderen Land abwarten. „Im Jahr 2032, 2033 oder 2034 könnten wir dann unseren Reaktor im Betrieb nehmen.“ Als erster Standort kommt das AKW-Gelände im südböhmischen Temelin infrage. Es liegt nur rund 60 Kilometern von den Grenzen zu Bayern entfernt. In Temelin verfüge man über Personal und Sicherungssysteme. Und man kenne den Standort am besten im Hinblick auf Seismologie, Geologie und Hydrologie. Zavodsky verspricht, dass eine neue grenzüberschreitende Prüfung der Umweltverträglichkeit Pflicht sein werde. „Die deutsche Öffentlichkeit wird das Recht haben, an Anhörungen teilzunehmen.“

Doch die Pläne gehen viel weiter. In der CEZ-Konzernzentrale sieht man die modularen Reaktoren als künftigen Ersatz für Kohlekraftwerke. Diese gelten aufgrund der Klimaschutzpläne als Auslaufmodell. Der Vorteil wäre, dass ganze Städte mit Fernwärme aus einem lokalen AKW versorgt werden könnten. Mehr als ein Drittel der Haushalte in Tschechien nutzt diese Form der Heizung – in Deutschland sind es nur 14 Prozent.

Werden in Tschechien also in wenigen Jahrzehnten mehr als ein Dutzend SMR-Reaktoren ihren Dienst tun? Zwar fehlt noch eine Entscheidung des Kabinetts in Prag, doch in Bayern sorgt diese Vorstellung für Verunsicherung. Dort wird bereits die tschechische Suche nach einem Standort für ein Atommüll-Endlager mit großer Sorge verfolgt.

Der Bezirkstagspräsident Niederbayerns, Olaf Heinrich (CSU), erfuhr von den tschechischen Mini-AKW-Plänen vor Kurzem bei einem Treffen der Partnerregionen. Man wisse nichts über die Sicherheit dieser neuen Reaktoren, wendet er ein. „Selbst wenn jemand die Atomkraft befürwortet, muss er die Sicherheit mitdenken“, betont der Bürgermeister der Grenzstadt Freyung. Hier müsse es einheitliche europäische Standards geben.

Brigitte Artmann, prominente Temelin-Kritikerin aus dem ostbayerischen Fichtelgebirge, fühlt sich an Zeiten erinnert, als man atombetriebene Autos bauen wollte. „Das sind Zukunftspläne – ob die jemals realisiert werden?“, fragt die Grünen-Politikerin. In der vertanen Zeit könnten viele Windräder, Photovoltaikanlagen und Speicher gebaut und damit die Energiewende vorangebracht werden, betont sie. Artmann sieht in dem Projekt zudem einen Versuch, von Sicherheitsmängeln an den bestehenden Anlagen in Temelin abzulenken.

Im bayerischen Wirtschafts- und im Umweltministerium zeigt man Verständnis für die Sorgen der Bürger. Die Nutzung der Kernenergie sei ein gesellschaftlich umstrittenes Thema. Es sei deshalb „absolut nachvollziehbar“, dass die Ankündigung des Ausbaus von AKW-Kapazitäten in Grenznähe für Diskussionsbedarf in der Bevölkerung sorge. Zugleich verweist man in München auf die Bundesregierung, die für internationale Beziehungen zuständig ist.

Um Unterstützung in der Bevölkerung muss sich die Atom-Lobby in Tschechien nicht bemühen. In einer „Eurobarometer“-Umfrage gaben 79 Prozent der Tschechen an, die Atomkraft werde in den nächsten 20 Jahren positive Auswirkungen haben. Das war die höchste Zustimmung unter allen EU-Staaten. In Deutschland rechnete indes eine klare Mehrheit von 69 Prozent der Befragten mit negativen Folgen.

Bayern verfolgt Suche um Endlager mit großer Sorge

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