Germering – Vom Schnitt in den Finger über Knochenbrüche und herausgesprungene Kniescheiben bis zum epileptischen Anfall – „ich habe alles schon erlebt“, sagt Philipp Zimmermann. Was sich anhört wie die Bilanz eines gestandenen Notfallsanitäters, sind Erfahrungen eines 15-Jährigen. Der Realschüler aus Germering (Landkreis Fürstenfeldbruck) ist seit acht Jahren Mitglied beim Jugendrotkreuz. Dort hat er in unzähligen Gruppenstunden gelernt, wie man Menschen bei gesundheitlichen Notfällen Erste Hilfe leistet.
Philipp ist einer von 106 000 Mitgliedern des Jugendrotkreuzes, der Nachwuchs-Organisation des Bayerischen Roten Kreuzes. Gestern erhielt das Jugendrotkreuz im Festsaal des Hofbräuhauses vom Verein Bayerische Einigung den Verfassungspreis „Jugend für Bayern“. Mitglieder aus München und Nürnberg nahmen den Preis aus den Händen von Innenminister Joachim Herrmann entgegen (siehe auch Seite „Report“).
Es ist eine Auszeichnung für Jugendliche wie Philipp. Im Sanitätsdienst seiner Schule war er schon oft gefordert, erzählt er bei einer Vorführung. „Das ist nichts für schwache Nerven“, sagt der Zehntklässler. Die notwendige mentale Stärke könne man sich nicht antrainieren – „die muss man mitbringen“. Bisher gab es erst eine Situation, in der der 15-Jährige seine Gelassenheit fast verloren hätte. „Eine Mitschülerin hatte Erdnüsse gegessen, ohne zu wissen, dass sie darauf allergisch reagiert“, erinnert er sich. Das Mädchen kollabierte in seinem Arm. „Da war ich schon mal kurz angespannt. Aber das darf man nicht zeigen, sondern muss sein Schema abarbeiten.“
Philipp Zimmermann und der gleichaltrige Sven-Michael Oberbacher sind alte Hasen in Sachen Erste Hilfe. Philipp kam mit sieben zum Jugendrotkreuz, Sven-Michael mit zehn. Aber was treibt die beiden an, ihre Freizeit dem JRK zu widmen? „Es ist sehr spannend. Man lernt Dinge, die man im täglichen Leben gebrauchen kann“, sagt Sven-Michael. Philipp ist fasziniert von dem Gefühl, anderen Menschen helfen zu können. „Das erfüllt mich einfach. Auch wenn sich das blöd anhört.“ Aus ihren ersten JRK-T-Shirts sind beide längst herausgewachsen. Eventuell gibt es nächstes Jahr neue. „Aber die Mittel für solche Anschaffungen müssen wir uns hart erkämpfen“, sagt die Germeringer Ortsgruppenleiterin und stellvertretende JRK-Landesvorsitzende Yarvis Boutin (28). Auf Mitglieder wie Philipp und Sven-Michael ist sie stolz. Beiden ist die Erste Hilfe zur zweiten Natur geworden. Einweghandschuhe haben die Zehntklässler immer im Schulranzen und „in jeder Hosentasche“, wie sie sagen.
Als Laie mit lang zurückliegenden Erste-Hilfe-Kenntnissen aus dem Führerscheinkurs mag man sich mit Schrecken fragen, ob man im Ernstfall den Herz- oder Pulsschlag eines Verletzten zuverlässig finden würde. Sven-Michael weiß, was zu tun ist. „Man muss die Atmung kontrollieren. Das Ohr über Mund und Nase des Betroffenen legen und feststellen, ob Atemgeräusche zu hören sind. Dabei zum Brustkorb schauen, ob er sich hebt und senkt.“ Beide Jungs haben vor, später die Ausbildung zum Notfallsanitäter zu machen. Philipp hat sich sogar schon bei der Münchner Berufsfeuerwehr beworben, wo er nach seinem Schulabschluss anfangen möchte. Eben erst hat er erfahren, dass er in die engere Wahl gekommen ist. ULRIKE OSMAN