München – Klebe-Aktionen im Straßenverkehr, Kartoffelbreiwürfe auf Kunstwerke –und zuletzt die Blockade am Berliner Flughafen BER. Mit ihren Störaktionen sorgen die Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ regelmäßig für Schlagzeilen – und für Ärger bei Politik und Bevölkerung. Zwei Aktivisten erklären, warum sie trotz aller Kritik an den umstrittenen Aktionen festhalten wollen.
Bei den Fridays for Future sind Zehntausende für mehr Klimaschutz auf die Straße gegangen. Ihnen sind die Demos nicht genug. Warum kleben Sie sich auf der Straße fest?
Schnarr: Die Fridays-for-Future-Demos gibt es schon eine ganze Weile – und da werden Sie mich auch weiterhin finden. Aber sie haben nicht zu dem nötigen Wandel geführt. Wir müssen jetzt handeln und nicht irgendwann.
Und dafür gefährden Sie sogar den Flugverkehr?
Schnarr: Die Geschichte hat gezeigt, dass ziviler Widerstand das effektivste Mittel für Veränderung ist. Deshalb diese Form. Damit das Thema nicht mehr ignoriert werden kann. Wenn wir jetzt nicht handeln, bedeutet das, dass ein Drittel der Menschheit ihre Heimat verlassen muss. Und die kommen dann auch zu uns. Das wird zu größten Verwerfungen in unserer Gesellschaft führen. Wir haben noch drei Jahre, um Veränderungen auf den Weg zu bringen. Dann sind gewisse Kipppunkte im Klimasystem erreicht. Das sagt beispielsweise Stefan Rahmstorf (einer der Autoren des Sachstandsberichtes des Weltklimarates, d. Red.). Auch der Expertenrat der Bundesregierung und die Vereinten Nationen sagen, wir tun zu wenig. Johnsen: Wir alle sind die letzte Generation, die das Ruder noch herumreißen kann. Deswegen sind in unserer Gruppe Menschen aus allen Bereichen und jeden Alters aktiv. Da sitzen Schüler neben Rentnerinnen, Handwerker neben Umweltingenieuren.
Sie fordern etwa einen sofortigen Finanzierungsstopp für fossile Rohstoffe. Wir stecken mitten in einer Energiekrise. Wie soll da so ein radikaler Umstieg gelingen, ohne dass tausende Bürger Strom und Heizung nicht mehr bezahlen können?
Johnsen: Wir schlittern von einer Krise in die nächste, weil wir es schon vor Jahren versäumt haben, die Energiewende richtig umzusetzen. Die Leute, die jetzt schon die Heizkosten nicht mehr bezahlen können, sind die ersten, die sich künftig wegen ausbleibender Ernten infolge der Klimakatastrophe das Essen nicht mehr leisten können. Die Bundesregierung betreibt aktuell nur Schadensbegrenzung, anstatt das Problem bei der Wurzel zu packen. Es ist ja nicht so, dass es keine Lösungsvorschläge gäbe. Professor Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sagt zum Beispiel, dass die Energietransformation durchaus möglich wäre. Die Konzepte liegen auf dem Tisch. Wir fordern, dass sie umgesetzt werden.
Viele Experten sagen aber auch: Ohne Gas oder Atomkraft geht es nicht in der Übergangsphase, bis wir genügend grüne Energie haben. Sind Ihre Forderungen da nicht utopisch?
Schnarr: Uns geht es darum, jetzt die richtigen Strukturen zu schaffen. Wir müssen nicht in drei Jahren jedes Gaskraftwerk abgeschaltet haben. Aber wir müssen in den nächsten drei Jahren die Maßnahmen auf den Weg bringen, dass wir bis 2030 unsere CO2-Emissionen halbiert haben. Stattdessen wachsen sie weiter an. Johnsen: Gerade in Krisenzeiten hat die Politik doch gezeigt, dass sie schnell handeln kann. In Kriegszeiten. Oder während der Pandemie. Warum handelt sie in der größten Katastrophe der Menschheit, der Klimakrise nicht? Was wir jetzt brauchen ist eine Überlebenswirtschaft. Ja, es klingt unbequem, ist aber notwendig.
Die Kritik an der „Letzen Generation“ entzündet sich weniger an den Zielen, als an der Protestform. Schaden Sie der Klimabewegung mit Ihren Straßen- und Flughafenblockaden und dem Kartoffelbrei auf der Kunst nicht mehr, als Sie ihr helfen?
Johnsen: Es geht nicht darum, von den Menschen gemocht zu werden. Wir sehen uns als Feueralarm der Gesellschaft. Ja, das nervt, wenn der losgeht. Aber man bleibt nicht liegen, sondern schaut zumindest mal nach, ob das Haus brennt. Und genau das tut es. Wir stören bewusst den todbringenden Alltag, um die Menschen und die Regierung wachzurütteln.
Schnarr: Viele Errungenschaften in der Geschichte wurden nur erreicht, weil die Menschen zu unkonventionellen Protestformen gegriffen haben. Da gab es häufig Kritik am Anfang. Doch dann hat sich doch etwas im Bewusstsein der Menschen verändert.
Sie wollen also Menschen überzeugen, indem Sie sie daran hindern, pünktlich zur Arbeit zu kommen?
Johnson: Nein. Es geht uns nicht darum, die Leute im Stau zu überzeugen. Wir können verstehen, dass sie wütend sind. Und es tut uns leid. Unser Protest richtet sich an die Politik. Auch wenn nicht jeder die Aktionen an sich gut findet: Mit unserem Ziel, die Politik zu vernünftigen Klimaschutzmaßnahmen zu bewegen, haben wir die Mehrheit der Bevölkerung hinter uns.
In Bayern saßen einige Ihrer Mitstreiter in Präventivhaft. Eine breite Solidarisierung mit den Aktivisten ist bislang ausgeblieben. Ist der Rückhalt wirklich so groß, wie Sie ihn beschreiben, oder reden Sie sich das schön?
Schnarr: Die Empörung ist da und wir erleben gerade eine breite Solidarisierung, insbesondere aus der Kunstszene und der Kirche. Es ist vollkommen offensichtlich, dass es ungerecht ist, diese Menschen dort 30 Tage einzusperren. Johnsen: So wie die globale Widerstandsbewegung wächst, so spüren wir auch bei der „Letzten Generation“ einen enormen Zulauf. Anfang des Jahres waren es noch ungefähr 30 Menschen, die auf der Straße Widerstand leisteten. Jetzt sind wir über 500. Und es werden immer mehr.
Gibt es innerhalb der Gruppe Diskussionen darüber, ob diese Protestform der richtige Weg ist?
Johnsen: Permanent. Es gibt nicht den einen „richtigen“ Weg. Sonst wäre dieser ja schon längst eingeschlagen worden. Diese Protestform ist gerade das effektivste Mittel. Wir haben damit einen Plan. Wir machen das nicht, weil es uns Spaß macht. Wenn sich die Politik endlich bewegt, sind wir bereit, den Protest sofort aufzugeben.
Politisch haben Sie bisher nichts erreicht. Selbst bei den Grünen gehen führende Politiker auf Distanz.
Schnarr: Es ist richtig, die Grünen haben unser Gesprächsangebot verstreichen lassen. Aber es gibt durchaus einzelne Mitglieder, die sich zu unserem Anliegen bekennen. Verglichen mit den für ein Überleben notwendigen Forderungen aus der Wissenschaft scheitert jedes Wahlprogramm – auch das der Grünen. Die Regierung hat die Klimakrise nicht im Griff.
In unserer Demokratie werden politische Richtungsentscheidungen nun mal durch Mehrheiten gefällt. Warum sollte das für Ihr Anliegen nicht gelten?
Schnarr: Das gilt auch jetzt und die Mehrheit wünscht sich stärkere Klimaschutzmaßnahmen. Die aktuelle Regierung muss das jetzt richten. Hier wird ein Demokratiedefizit deutlich und wir fordern ein Mehr an Demokratie. Etwa durch sogenannte BürgerInnenräte, die gemeinsam einen Weg finden, wie Deutschland aussteigen kann aus fossiler Energie. Dieses Konzept gab es schon, aber es wird eben nicht umgesetzt von der Regierung.
Auf der Klimakonferenz wurde ein Minimalkompromiss geschlossen. Das lag aber nicht nur an der Bundesregierung. Müssten Sie sich nicht konsequenterweise auch in China auf die Straße kleben?
Schnarr: Es gibt eine Rangliste darüber, welche Nationen beim Klimaschutz am meisten tun. Deutschland liegt da nur im Mittelfeld. Wir sind also sicher kein Vorreiter. Natürlich muss die ganze Welt mitmachen. Aber irgendwo muss man ja anfangen. Und mit Blick auf China: Dort wurde und wird ja auch für unseren Konsum produziert. Wir haben die Verantwortung, auch anderen Nationen eine nachhaltigere Produktionsweise zu ermöglichen.
Sie sprechen von drei Jahren, die noch bleiben, um die Katastrophe abzuwenden. In dieser Logik müssten die Proteste radikaler werden, wenn Sie nichts erreichen. Wo ist die Grenze? Die CSU spricht ja schon von einer drohenden Klima-RAF…
Schnarr: Es gibt eine klare Grenze: Unser Protest bleibt gewaltfrei und friedlich. Das steht auch in einem gemeinsamen Aktions- und Wertekonsens, den wir uns gegeben haben. Der Protest muss nicht radikaler werden, aber er wird sich ausweiten. Wir wollen eine breite Gesellschaftsschicht erreichen. Die müssen sich nicht alle auf die Straße kleben. Aber sie müssen ihre Stimme erheben. Dann wird der Druck so groß, dass die Politik handeln muss.
Sie sagen, Sie lehnen Gewalt gegen Dinge ab. Wie passt dazu der Kartoffelbrei auf dem Kunstwerk?
Johnsen: Die Kunstwerke wurden nicht zerstört. Uns war bewusst, dass da eine Glasscheibe davor ist. Es ging darum zu zeigen: Was ist, wenn es diese Kunst nicht mehr gibt? Weil wir dabei sind, unsere Welt zu zerstören.
Die Proteste werden also weitergehen?
Schnarr: Ja. Der Winter wird uns nicht aufhalten. Johnsen: Die eskalierende Klimakrise macht ja auch keine Pause. Deswegen können wir nicht aufhören, solange die Regierung nicht handelt.
Interview: W. Hauskrecht, D. Göttler, M. Mäckler