Landshut – Bis Weihnachten sind es nur noch wenige Wochen, in den meisten Familien ist es längst Thema: Was wünschen sich die Kinder? Viel! Aber wie viele Geschenke sind gut für Kinder? Und wie vermeidet man, dass die Enttäuschung unter dem Weihnachtsbaum groß ist? Wie kann man die große Krise an Heiligabend vermeiden? Dr. Désirée Ratay ist dreifache Mama, Kinderärztin und Familien-Coach aus Landshut. Sie gibt Tipps für ein friedliches Fest.
Wie viele Geschenke sind gut für ein Kind?
Ich würde mich ungern auf eine Zahl festlegen. Je kleiner die Kinder, desto weniger Geschenke erwarten sie. Deshalb würde ich bei jüngeren Kindern, die noch gar nicht um viele Geschenke bitten, keine zu hohe Erwartungshaltung für das nächste Weihnachtsfest erzeugen. Je mehr sie kriegen, desto mehr erwarten sie das nächste Mal.
Gibt es trotzdem eine Faustregel?
Wichtig ist, dass Eltern sich fragen: Braucht mein Kind das Geschenk? Macht es mein Kind wirklich glücklich? Oder schenke ich, weil ich einkaufen und glücklich sein will? Man sollte genau hinschauen: Schenke ich viel, weil ich Liebe und Anerkennung von meinem Kind brauche? Oder aus Schuldgefühlen, weil ich wenig Zeit hatte für mein Kind? Geschenke sollten echte Freude bereiten und nicht nur die leider weit verbreitete Kultur des Konsums, Sammelns und Ablenkens fördern.
Was ist ein gutes Geschenk für Kinder?
Eltern sollten ihren Kindern nicht nur schenken, was sie für richtig halten, sondern die Bedürfnisse der Kinder und ihr Wesen im Auge behalten. Eltern sollten ehrlich hinterfragen, ob das Geschenk an eine Erwartungshaltung geknüpft ist. Zum Beispiel Fußballschuhe, in der Hoffnung, dass das Kind ein Profi wird. Dann ist es kein echtes Geschenk.
Wie ist es mit Zeit-Geschenken – funktionieren die auch für Kinder?
Ja, unserer Familie ist das sehr wichtig. Jedes Kind bekommt ein Zeit-Geschenk, Zeit für ungeteilte Aufmerksamkeit. Zum Beispiel einen Nachmittag in der Therme nur mit Papa. Und wir haben auch ein Familiengeschenk eingeführt, das gemeinsame Erinnerungen schafft. Dieses Jahr waren wir zum Beispiel bei „Cirque du Soleil“. Unsere Kinder sollen Weihnachten nicht mit Konsum in Verbindung bringen. Das heißt nicht, dass sie keine Geschenke bekommen, aber die Geschenke sind sorgfältig ausgewählt.
Manche Eltern gehen mit ihren Kindern durchs Kaufhaus und fragen: Was soll das Christkind bringen? Wie sinnvoll ist das?
Vielleicht haben die Kinder schon so viel, dass die Eltern nicht mehr wissen, was sie schenken sollen. Das würde mir zu denken geben. Oder die Kinder müssen gemeinsam mit den Eltern erst mal nach einer Inspiration suchen…warum nicht? Solange das Geschenk dann achtsam ausgewählt wird, hätte ich damit kein Problem. Wichtig ist mir nur: Man muss nicht irgendein Geschenk kaufen, nur um zu kaufen.
Bei manchen Wünschen wissen Eltern schon: Damit spielt das Kind höchstens an Weihnachten, danach landet es bald in der Ecke. Soll man dem Wunsch trotzdem nachgeben?
Das ist eine wirklich schwere Frage. Als dreifache Mutter werde ich natürlich auch mit diesem Problem konfrontiert. Vor allem bei den beiden größeren Kindern. Ich versuche, darauf zu achten, dass die Kinder Geschenke kriegen, die ihre Bedürfnisse befriedigen, die Entfaltung ihres Potenzials fördern. Aber es ist wichtig, dass ihre Wünsche respektiert werden – auch wenn sie vielleicht nicht mit meinen Vorstellungen übereinstimmen.
Manchmal entstehen Wünsche ja auch aus einer Art Gruppenzwang heraus.
Ja, die Angst größerer Kinder, nicht zu ihrem Freundeskreis dazuzugehören, muss berücksichtigt werden. Es gibt eine Grauzone, in der wir den Kindern gegenüber flexibel sind – aber auch einen Bereich, in dem wir wissen, dass wir uns einschalten müssen. Mein Sohn bekommt zum Beispiel keine Beyblades mehr, das sind sehr schnelle kleine Kreisel. Innerhalb einer Stunde sind die verloren! Das macht einfach keinen Sinn. Aber wenn er sich etwas von Lego wünscht und klar ist, das wird nur ein paar Mal aufgebaut, kann er das haben – weil das Aufbauen eine Übung ist, ein Moment der Verbundenheit oder ein Ausdruck seiner Kreativität.
Gehen wir mal direkt zum Heiligen Fest. Wenn der Wunschzettel voll war und dann nicht alles unterm Baum liegt, ist die Krise doch programmiert. Wie fängt man das auf?
Prävention ist die beste Medizin! Bei uns darf nur eine beschränkte Anzahl an materiellen Dingen auf die Wunschliste. Kinder dürfen und können lernen, Herzenswünsche von Konsumsucht zu unterscheiden. Sie dürfen sich Zeit nehmen und abwägen, was für sie wirklich wichtig ist. Und das geht nur mit Obergrenze. Der Wunschzettel legt den Grundstein für ein friedliches Fest. Wir machen aus dem Schreiben der Wunschzettel ein Ritual, das dauert einen ganzen Nachmittag. Auch das fördert Verbundenheit.
Nun hört es bei der Kern-familie ja nicht auf. Wie verhindert man, dass Großeltern und Verwandte die Kleinen mit Päckchen überschütten?
Oh ja, das ist für viele ein leidiges Thema. Das große Problem ist oft, dass Verwandte und Großeltern die Wünsche der Eltern, was die Zahl der Geschenke angeht, nicht respektieren. Eltern fühlen sich dann zu Recht wieder in ihre Kindheit zurückversetzt, als man ihre Wünsche nicht ernst genommen hat. Deshalb ist das Thema so emotional behaftet, es geht um Grenzen.
Wie kann man seine eigenen Grenzen schützen?
Das fällt vielen schwer. Man möchte gerade zu Weihnachten seine Verwandten nicht verletzen, keinen Streit anzetteln. Ich bin da vielleicht etwas radikal, aber wer meine Vorstellungen von Weihnachten und Geschenken nicht respektiert, darf entweder nicht herkommen oder nichts schenken. Zum Glück habe ich das Problem nicht, meine Eltern denken da genauso wie ich. Anderen rate ich, das Thema frühzeitig anzusprechen.
Gibt es Tricks, wie die Bescherung nicht in einem Auspack-Rausch ausartet?
Bei uns darf das jüngste Kind zuerst ein Geschenk unter dem Baum nehmen. Es schaut, für wen es ist, und überreicht es. Alle warten, bis das Geschenk ausgepackt wurde. Dann ist das nächstältere Kind dran und so weiter. Auch so vermittelt man Wertschätzung. Und für den Frieden hilft auch: Unbedingt vor dem Essen bescheren!
Warum?
Vorletztes Jahr hat meine Mutter ein Vier-Gänge-Menü für acht Leute gezaubert, wir saßen alle am Tisch – dann haben die Kinder mitten unterm Essen aus welchem Grund auch immer ein Klingeln gehört. Die waren natürlich plötzlich weg, wir mussten hinterher rennen…ein absolutes Chaos! Das kann man verhindern, wenn die Kinder beim Essen schon nicht mehr so auf Kohlen sitzen.
Viele Familien haben noch ein ganz anderes Problem: Sie haben wenig Geld.
Ja, neulich hat eine alleinerziehende Mama mir geschildert, dass sie leider keine Familie oder Freunde hat, die ihren kleinen Sohn mit Geschenken überhäufen werden. Sie sagte, sie hofft, ihm alleine genug bieten zu können. Es gibt beispielsweise in vielen Büchereien Wunschbäume oder ähnliche Aktionen, über die sich Familien mit geringen finanziellen Mitteln Wünsche erfüllen lassen können.
Interview: Carina Zimniok