„Eine Pflegeplatzgarantie war utopisch“

von Redaktion

VON KATRIN WOITSCH

München – Linda Kramer (Name geändert) hat in den vergangenen Wochen viel telefoniert. Pflegeheim um Pflegeheim hat sie angerufen, manche davon waren sogar mehr als 200 Kilometer entfernt. Alle hatten eines gemeinsam: Sie können aktuell keine weiteren Pflegebedürftigen aufnehmen. Einige hatten zwar freie Betten – aber nicht genug Pflegekräfte, um die Bewohner zu versorgen.

Kramer betreut eine Seniorin mit Pflegegrad drei. Sie ist dement. Bisher hatte ihr Mann sie zu Hause versorgt, dann wurde bei ihm ein Tumor diagnostiziert. Er ist selbst zu krank, liegt im Bett und kann sich nicht mehr um seine Frau kümmern. Während Kramer Heime abtelefonierte, stürzte die Frau in der Wohnung und brach sich den Oberschenkelhals.

„Wenn man dringend einen Pflegeheimplatz braucht, kann man schon lange nicht mehr wählerisch sein“, sagt die Betreuerin. Alle Pflegebedürftigen wollen gerne in der Nähe ihrer Familien bleiben – das gelingt aber nur mit viel Glück. Ohne die Hilfe von Profis wie Linda Kramer ist es für Betroffene noch schwieriger.

Über die Pflegeplatzgarantie, die CSU und Freie Wähler in ihrem Koalitionsvertrag versprochen haben, kann die Betreuerin nur lächeln. „Das war immer utopisch“, sagt sie. Der demografische Wandel und der Pflegekräftemangel würden die Situation aber weiter verschärfen.

Die Staatsregierung wollte die Pflegeplatzgarantie bis 2023 einführen. Alle Pflegebedürftigen in Bayern ab Pflegegrad 2 hätten damit ein Anrecht auf einen stationären Pflegeplatz in Wohnortnähe. Schon als Markus Söder das damals in seiner Regierungserklärung ankündigte, hielten es viele für ein gewagtes Versprechen. Die Opposition wirft der Staatsregierung nun vor, die Pläne still und heimlich zu beerdigen. Die Situation für Pflegebedürftige in Bayern würde sich eher verschlechtern, betont Florian von Brunn, Fraktionsvorsitzender der Landtags-SPD. „Erste Heime mussten wegen des Fachkräftemangels schließen.“ Bis zu 20 Prozent der Pflegekräfte würden in den kommenden fünf Jahren in Rente gehen. Es kommen nicht genug junge nach, die sich für die Altenpflege entscheiden. Gleichzeitig nehme der Pflegebedarf in Bayern zu.

Hans Kopp, Leiter der Arbeiterwohlfahrt in München, fürchtet, dass der moralische Druck auf die Angehörigen steigen wird. Schon jetzt werden rund 70 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause von ihren Familien versorgt. Bayern habe nach Nordrhein-Westfalen mit mehr als einer halben Million die zweithöchste Zahl an Pflegebedürftigen, bei der Zahl der Heimplätze liege der Freistaat aber im unteren Drittel, sagt Kopp.

Die SPD-Gesundheitsexpertin Ruth Waldmann fordert eine Art Fahrplan, wie die Staatsregierung das Problem zeitnah angehen will. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) hatte im Gesundheitsausschuss ein Strategiepapier zum Ausbau der Pflegeinfrastruktur präsentiert. Es trägt den Titel „Gute Pflege. Daheim in Bayern“. Von einem „ganzen Maßnahmenbündel“ ist die Rede, um gemeinsam mit den Kommunen vorhandene Pflegestrukturen zu stärken und neue zu schaffen. Schwerpunkt ist die häusliche Pflege – statt der Pflege in Heimen.

Georg Sigl-Lehner, Präsident der Vereinigung der Pflegenden in Bayern, hält es für den richtigen Weg, in die Angebote vor Ort zu investieren. „Ziel muss es sein, die personalintensive stationäre Pflege zu entlasten“, betont er. Regionale Servicestrukturen, Prävention zum Beispiel im Bereich Mobilität, aber auch Netzwerke wie Nachbarschaftshilfen und ambulante Angebote könnten entscheidend helfen, dass mehr Menschen länger zu Hause leben können. „Dieser Weg ist zielführender als eine Pflegeplatzgarantie“, sagt er. Das die wirklich kommen werde, hatte Sigl-Lehner schon 2018 bezweifelt. Er war deshalb nicht überrascht, dass die Staatsregierung nun einen anderen Weg einschlägt. „Wichtig ist es aber, Kommunen und pflegende Angehörige mitzunehmen“, betonte er. Noch gebe es in vielen Gemeinden kein Verantwortungsbewusstsein für dieses Thema, fürchtet er. „Es wird aber nicht mehr lange dauern, bis das Pflege-Problem in den Rathäusern ankommt.“

Artikel 6 von 11