„Das Loslassen ist schwierig“

von Redaktion

INTERVIEW BRK-Landesgeschäftsführer Leonhard Stärk zieht zu seinem Abschied Bilanz

Vor knapp zwei Monaten gab es ein Beben beim BRK. Teile des Präsidiums hatten den Landesgeschäftsführer Leonhard Stärk zum Rücktritt gedrängt. Zum Jahresende gibt er seinen Posten nach 16 Jahren ab. An vieles in seinem neuen Rentner-Alltag müsse er sich noch gewöhnen, sagt der 63-Jährige. Aber er verspricht: „Ich brenne weiterhin für den Verband.“

Sie sind jahrelang zehntausende Kilometer quer durch Bayern gefahren, saßen in vielen Krisenstäben. Wie schwer fällt es Ihnen, jetzt runterzufahren?

Das abrupte Runterfahren ist mir schwergefallen, das will ich nicht bestreiten. Zuerst wusste ich nicht, wie ich die Tage füllen soll. Inzwischen kriege ich das gut hin.

Das Holzkirchner BRK hat Sie vor Kurzem zum Paten eines Rettungswagens gemacht. Ein Zeichen der Solidarität.

Das hat mir sehr gut getan. Es war immer klar, dass meine Aufgabe beim BRK irgendwann endet. Aber einige waren entsetzt darüber, wie abrupt das Ende kam. Die Nähe zur Basis war mir immer wichtig. Deshalb war ich so viel unterwegs – auch um die Arbeit vor Ort anzuerkennen.

Sie verdanken es einem Headhunter, dass Sie beim BRK gelandet sind. Gab es anfangs Skepsis, weil Sie jemand von außen waren?

Ja, vor allem bei mir. (lacht) Ich habe dem damaligen Präsidenten Heinz Köhler und der Prinzessin Christa von Thurn und Taxis gesagt, dass ich den Verband und die Strukturen nicht kenne. Aber sie wollten genau so jemanden. Ich hatte Sorge, ob ich das schaffe. Letztendlich habe ich für das BRK nun länger gearbeitet als in jedem anderen Job und jeder andere Landesgeschäftsführer. Ich brenne noch heute für den Verband.

Das BRK war von einem millionenschweren Schmiergeld-Skandal gebeutelt. Sie sollten aufräumen, galten als sanfter Revoluzzer. Hat das Image zu Ihnen gepasst?

Die Landesgeschäftsstelle war damals in einem katastrophalen Zustand, vollkommen überschuldet, nichts war organisiert. Ein sanfter Revoluzzer war damals nicht gefragt, der Verband erwartete eine radikale Führung. Einige Kreisverbände forderten einen härteren Sanierer. So wollte ich aber nicht wahrgenommen werden, so kann man auch den Verband nicht führen. Damit hätte man ihn zerlegt. Was ich mir vielleicht vorwerfen muss: Ich hätte den Verband strukturell stärker verändern müssen.

Sie haben den Kontakt mit Pflegekräften gesucht, mussten aber auch mit Gewerkschaften um Lohnerhöhungen verhandeln. Wie schwer war der Spagat?

Als ich anfing, hatte das BRK ein Umsatzvolumen von 800 Millionen Euro, heute sind es 1,5 Milliarden. Der Großteil davon ist aus der Pflege. Es tut weh, wenn man trotz berechtigter Interessen der Mitarbeiter um Viertelprozente verhandeln muss, weil die Refinanzierung durch Kostenträger sonst nicht gesichert ist.

Es ist kein Geheimnis, das Sie gerne noch weitergemacht hätten. Wie sehr schmerzt Sie die Entscheidung des Präsidiums?

Es schmerzt mich nicht mehr. An den ersten Tagen war das anders. Aber ich habe die Entscheidung von Anfang an akzeptiert. Vor dem BRK liegen große Aufgaben. Rettungsdienst, Pflege und Kinderbetreuung müssen neu aufgestellt werden, das geht nur, wenn das Vertrauen aller Präsidiumsmitglieder da ist. Es ist mir nicht gelungen, mit allen ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.

Wie schwierig ist es für Sie, loszulassen?

Das ist schwierig, natürlich interessiert mich, wie es weitergeht. Auf die gesamte soziale Wirtschaft kommen große Veränderungen zu, unabhängig von den Kriegsfolgen und den steigenden Kosten für die Altenpflege. Wir müssen mit dem Personalmangel fertigwerden. Aktuell gibt es in Rettungsdienst und Pflege enorm hohe Krankheitsquoten. Aber ich weiß, dass das BRK in einer guten Verfassung ist. Das macht das Loslassen leichter.

Die Pandemie hat viele Probleme sichtbar gemacht. Hilft das, Lösungen zu finden?

Uns allen ist klar geworden, wie abhängig wir vom Personal sind. Doch die Krankenkassen erkennen nicht an, dass wir mehr ausbilden müssen. Es sind 245 Notfallsanitäter-Stellen finanziert, wir bräuchten aber jährlich 477 Auszubildende, um die Aufgaben der Zukunft bewältigen zu können. Die Gesellschaft wird älter, immer mehr Kliniken werden zusammengelegt, das bedeutet längere Fahrtzeiten. Wir können das nicht über mehr Rettungswagen kompensieren, wir brauchen die Menschen, die diese Rettungswagen fahren und die Patienten versorgen. Manchmal frage ich mich, warum wir aus der Pandemie nicht mehr gelernt haben.

Auf welche Erfolge sind Sie stolz?

Die Sanierung der Landesgeschäftsstelle ist abgeschlossen. Der Rechnungshof hatte 2009 einige Hausaufgaben für uns. Wir hatten noch keine einheitliche Finanzbuchhaltung, sondern bis zu 50 unterschiedliche Buchhaltungssysteme. Wir haben einen zentralen Einkauf etabliert, der rund 200 Millionen Volumen verwaltet. Stolz bin ich vor allem darauf, dass die Zusammenarbeit zwischen allen Ebenen besser geworden ist. Am Anfang gab es zwischen der Basis und der Landesgeschäftsstelle ein großes Misstrauen. Mein Ziel war auch, die Haupt- und Ehrenamtlichen aus allen Bereichen mehr einzubinden. Die Bereiche Blaulicht und Wohlfahrt sind heute eng verzahnt. Wir haben eine ehrenamtliche Gemeinschaft, die Wohlfahrts- und Sozialarbeit. Sie war in der Pandemie sehr wichtig, die Helfer haben zum Beispiel Lebensmittel an Menschen geliefert, die das Haus nicht verlassen konnten. Ich habe den Verband eher zusammengebracht als gespaltet – und ich wünsche mir, dass das so bleibt.

Werden Sie künftig beim BRK noch eine Rolle übernehmen?

Ich werde nicht die Füße hochlegen. Wenn mein Rat gefragt ist, bringe ich mich gerne ein. Wo und in welcher Funktion, das habe ich noch offengelassen.

Was haben Sie privat im Ruhestand vor?

Meine Frau und ich haben nun Zeit zum Reisen. Aber vieles wird noch eine Umstellung werden. Ich habe morgens immer als Erstes auf mein Handy geschaut. Gerade in der Pandemie ist nachts oft viel passiert. Jetzt schaue ich morgens in mein Postfach und es ist leer. Das war anfangs sehr gewöhnungsbedürftig. Inzwischen empfinde ich es auch ein Stück weit als Erleichterung und lerne das Leben aus einer ganz neuen Perspektive kennen.

Interview: Katrin Woitsch

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