Farchant – Falsche Zöpfe? Das kommt für sie nicht infrage. Sie sei kein junges Madl mehr. Außerdem würde die Haartracht nicht darüber entscheiden, wie gut man auf der Bühne musiziert. „Warum also sollte ich mich verkleiden müssen?“
Die kurzhaarige, dunkelblonde Frau mittleren Alters aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen, die das sagt, ist passionierte Musikerin. Sie zählt zu einer der Besten an ihrem Instrument. Sie unterrichtet auch. Drei ihrer Schülerinnen aus dem Isartal, alles Plattlerkinder im Verein, wollten mit ihr als Lehrerin beim traditionellen Gaujugendsingen in Farchant im Landkreis Garmisch-Partenkirchen auf der Bühne stehen. Aber sie durften nicht.
Wochenlang haben die vier die Stücke eingeübt und einstudiert, die Vorfreude war groß. Bis wenige Tage vor ihrem Auftritt Anfang Oktober die Absage eintrudelte: Mit ihren kurzen Haaren könne die Lehrerin nicht auf die Bühne, hieß es. Sie entsprechen nicht der Satzung, die sich die Oberländer Trachtenvereinigung vor Jahrzehnten selbst auferlegt hat. Sie hatte die Wahl: entweder Perücke – oder kein Auftritt für sie.
Sie entschied sich gegen die künstliche Langhaar-Frisur. Damit war der Auftritt zusammen mit den drei Mädchen unmöglich. Die Musiklehrerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, weiß, wie traurig Kinder und Eltern das macht. Sie ist viel unterwegs in Bayern oder Tirol und darüber hinaus. Aber dass Kurzhaarige nicht auf die Bühne dürfen, gebe es so nur hier, sagt sie.
Es gehe sowieso um Kinder, die gern musizieren. Über 50 unterrichtet sie. Und nicht um Haarmode. Sie fürchtet, dass das Engagement und die Leidenschaft für die Musik durch veraltete Statuten eingebremst, im schlimmsten Falle verloren gehen könnten. Ausgerechnet in einer Zeit, in der Smartphones oder Videospiel-Konsolen daheim ein Gros der Freizeit einnehmen. Man müsse froh sein, sagt sie, Kinder und Jugendliche überhaupt noch für Tradition und Brauchtum begeistern zu können.
„Es gibt Regeln, an die wir uns einfach halten müssen“, sagt hingegen Peter Egner. Er ist seit 1999 Gausängerwart der Oberländer Trachtenvereinigung. Ihm seien die Hände gebunden. In der Satzung der Trachtenvereinigung, die die 31 Vereine einst abgesegnet haben, steht klar beschrieben, wie ein Trachtler auszusehen hat. Eben auch, dass Buben einen Hut tragen und die Frisuren der Mädchen „aufgeräumt“ sein müssen. „Es dürfen keine Zotteln runterhängen, nicht ungepflegt ausschauen.“ Ein Kurzhaar-Schnitt sei ebenfalls nicht satzungskonform.
Das Frisurenproblem ist seit der Gründung der Vereinigung im Jahr 1946 immer wieder aufgetreten. Zuletzt 2003, als einer 18-jährigen, kurzhaarigen Geigenspielerin aus Mittenwald der Auftritt beim Gausingen verwehrt wurde. Egner betont: „Die Statuten sind nicht in Stein gemeißelt.“ Doch stimmten die Trachtler damals bei der Versammlung mehrheitlich gegen eine Änderung des Kurzhaar-Verbots.
Aber vielleicht kommt ja Bewegung in die Sache. Bei der Gaufrühjahrsversammlung im März soll demokratisch entschieden werden. 62 Stimmberechtigte plus die Mitglieder des Gauausschusses haben es in der Hand, ihr eigenes Regelwerk anzupassen. „Wenn die einfache Mehrheit sagt, die Satzung ist nicht mehr zeitgemäß, dann wird das selbstverständlich so akzeptiert“, sagt Egner. Er betont aber, „dass eine Entscheidung zum Erhalt der jetzigen Satzung dann ebenfalls akzeptiert werden muss.“
Für eine Lockerung der aktuellen Satzung hat sich Franz Lipp bei der Gauherbstversammlung ausgesprochen. „Die Frisur hat nichts mit musikalischer Leistung zu tun“, sagt der Chef des Mittenwalder Gebirgstrachtenvereins. Solch „mittelalterliche Statuten“ brauche heutzutage kein Mensch mehr. Er hofft, dass sich im Frühjahr eine deutliche Mehrheit findet, um die Statuten aufzulockern.
Eine Kompromisslösung würde der Musiklehrerin schon reichen. „Damit zumindest Mütter oder Lehrerinnen mit kurzen Haaren auf die Bühne dürfen“, sagt sie.