Beten und bibbern bei fünf Grad

von Redaktion

Murnau – Pfarrer Siegbert Schindele (63) schwärmt: „Wenn die Lichter ausgehen und alle ,Stille Nacht, heilige Nacht‘ singen – das ist der Höhepunkt der Weihnachtsmesse.“ Und heute, am Heiligabend, ist es endlich wieder so weit. Ohne Maske, Abstands- und 3G-Regel ist die Hoffnung auf volles Haus in St. Nikolaus in Murnau im Kreis Garmisch-Partenkirchen groß.

„Vor der Pandemie nahmen an vier Gottesdiensten insgesamt 1600 Gläubige teil, währenddessen nicht mal die Hälfte“, sagt Schindele. „Und wegen der Ausgangssperre mussten wir die Zeiten ändern.“ Heuer ist er zuversichtlich: „Die meisten haben die Angst abgelegt und gehen dieses Jahr wieder wie eh und je an Weihnachten in die Kirche.“ Es sei das Fest, zu dem selbst unregelmäßige Kirchgänger gerne kommen. „In schweren Zeiten gibt das Halt und zeigt, dass wir 2023 zusammen meistern. Ich glaube nicht, dass die Leute stattdessen lieber Netflix schauen.“

Pfarrer Schindele gibt einer Umfrage Konter: Laut der planen 60 Prozent der Deutschen keinen Kirchgang an Heiligabend. Selbst unter Kirchenmitgliedern war das Interesse gering: Nur die Hälfte derer, die einer christlichen Kirche angehören, will einen Gottesdienst besuchen.

Auch Regine Weller, Pfarrerin in Moosburg im Kreis Freising, schenkt den Zahlen keinen Glauben. „In den Sonntagsgottesdiensten ist die Zahl der Besucher zuletzt gestiegen“, sagt sie und hofft auch an Heiligabend auf Andrang. „Viele Menschen sehnen sich nach Normalität und gerade Eltern wollen an Weihnachten in die Kirche, weil dreijährige Kinder das noch nie miterlebt haben.“

Auch in Schongau bangt man um Plätze: „Unsere Dreifaltigkeitskirche ist mit 200 Plätzen recht klein“, sagt die Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde, Julia Steller. „Wir stellen zwar Stühle auf, aber bei den Zwergerl- und Krippenspielgottesdiensten werden die Gänge wohl heuer wieder sehr voll sein.“

Seit Wochen sitzt Julia Steller schon an den Predigten zu Heiligabend. „Das ist die Königsdisziplin“, sagt die 35-Jährige. „Auch, weil ich diejenigen erreichen will, die nur einmal im Jahr in der Kirche sind.“ Hoffnung sollen ihre Worte in Zeiten von Krieg und Energiekrise spenden.

Letztere werden Gläubige bei der Christmette heuer auch zu spüren kriegen: Die katholische und die evangelische Kirche haben sich schon im Herbst an die Gemeinden gewandt und empfohlen, die Temperatur auf acht bis zehn Grad zu senken. Viele reagierten: Per Brief teilte etwa der Pfarrverband Gmund-Bad Wiessee (Kreis Miesbach) mit, seine Kirchen nur noch auf fünf Grad aufzuheizen. Nur so könne man den stark gestiegenen Kosten für Strom und Öl entgegenwirken.

Pfarrer Siegbert Schindele aus Murnau glaubt, dass die Gläubigen trotz Kälte zu den Gottesdiensten kommen. „Alle wissen, dass sie sich warm anziehen müssen. Bei uns ist es wie immer eiskalt“, sagt er und lacht. Trotz Unterbankheizung wird in St. Nikolaus bei nur neun Grad gebetet. Auch in Schongau rät Pfarrerin Julia Steller zu warmer Kleidung und lässt zusätzlich Decken verteilen. „Gänsehaut kommt aber ganz bestimmt auf, wenn wir alle zusammen ,Oh, du Fröhliche‘ singen.“  sco/gab/afp

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