München/Farchant – Drei Plattlerkinder können nicht beim Gaujugendsingen in Farchant im Kreis Garmisch-Partenkirchen auftreten, weil ihre Musiklehrerin kurze Haare hat. Die Satzung der Oberländer Trachtenvereinigung verbietet die Frisur auf der Bühne. Christian Ritter (61) ist Trachten-Experte beim Landesverein für Heimatpflege.
Herr Ritter, woran erinnert Sie der Fall in Farchant?
Mir kommt der Streit um den Auftritt der Band LaBrassBanda in den Sinn. Die modernen bayerischen Musiker sollten 2014 im Kreis Traunstein auf der Gaufestwoche in Ruhpolding auftreten. Die jungen Männer wollten das wie immer barfuß und in Lederhosen ohne Träger tun – zum Ärger der Vorstandschaft. Sie sah diesen lockeren Umgang mit Trachten als nicht traditionskonform an.
Warum sind Veränderungen so gefürchtet?
Es herrscht noch immer ein falsches Bild von der Trachtenüberlieferung. Trachten waren in der Vergangenheit, wie Bräuche, Dialekte und Volksmusik, nie statisch. Sie unterlagen immer schon dem Wandel, passten sich gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen an. Und das tun sie noch. Daher sollten wir es unterlassen, Trachten dieses Recht auf Weiterentwicklung abzusprechen.
Da kommen die Trachtenvereine ins Spiel …
Am Alpenrand entstanden die ersten. Bis heute ist das Bewusstsein für Tracht und Tradition hier besonders ausgeprägt. Ich glaube aber, dass auch in Franken, Hamburg oder in den USA, wo es auch Gebirgstrachtenerhaltungsvereine gibt, über Details gestritten wird. Diskurs ist wichtig. Tracht sollte für die Nachwelt erhalten bleiben – einfrieren sollte man sie aber nicht. Nur so bleibt sie lebendig.
Worüber wird gestritten?
Jede Region hat ihre eigenen Trachtenüberlieferungen. Meist wird wohl über Accessoires diskutiert. Etwa, ob Männer Ohrringe tragen dürfen oder ob Tattoo und Piercing bedeckt werden müssen.
Zoff gibt es nicht nur intern. Felle, etwa zu Leonhardi, sind umstritten …
Pelz ist heute oft gesellschaftlich verpönt. Hier empfehle ich bei der Diskussion mehr Toleranz und Gelassenheit. Wer einen Pelz als Erbstück besitzt, sollte frei entscheiden dürfen, ob er ihn trägt. Das ist Gott sei Dank ein Grundrecht.
Wie ist das bei der Frisur?
Ich kann den Protest der Musiklehrerin verstehen. Es geht nicht nur um die „richtige“ Frisur, sondern um die ausgrenzende Grundhaltung, die hinter dem Auftrittsverbot steckt. Eine Frau mit kurzem Haar kann Kultur und Tradition genauso gut pflegen wie eine andere. Es gibt ein Recht auf Individualität, das Satzungen auch respektieren sollten.
Vielen Vereinen fehlt der Nachwuchs. Schrecken solche Statuten ab?
Wenn sich junge Leute nicht mit etwas identifizieren können, lassen sie sich schwer begeistern. Pluralismus und Individualität werden immer wichtiger. Konservative und moderne Ansichten dürfen aufeinanderprallen. Aber eines darf man nicht vergessen: Trachten sollten die Gemeinschaft stärken und Menschen verbinden, nicht trennen. sco