Es war Tradition in meiner Kindheit. Am Heiligen Abend, genauer gesagt, am Vormittag desselben, gab es Krach. In schöner Regelmäßigkeit gerieten meine Eltern aneinander. Die Anlässe waren verschieden. Entweder hatte einer den falschen Christbaum gekauft oder untenherum zu viele Äste abge-sägt. Oder jemand zerbrach eine der silbernen Kugeln. Es war zu viel oder zu wenig Lametta im Geäst. Der Baum stand schief oder falsch herum – mit der dünnen Stelle nach vorne. Natürlich gab es noch viel mehr Anlässe, sich zu streiten.
Bei den ersten Malen, als ich Zeugin dieses weihnachtlichen Spektakels wurde, war ich besorgt. Ich fürchtete um den Bestand unserer Familie. Das legte sich mit den Jahren, zumal der Heilige Abend in Harmonie verlief. Der Theaterdonner war die missglückte Generalprobe für das gelungene Fest. Glück gehabt. Denn später, am feiertäglichen Sorgentelefon des Bayerischen Rundfunks, bei der Mitternachtsmission der Diakonie – „auf Streife“ in Bars und Spelunken – in Kliniken und beim Weihnachtsgottesdienst in der Justizvollzugsanstalt, da war das anders. So viel Kummer, Tränen, Leid, Schmerz, Schuld und Unglück. So viel zerbrochene, zerstrittene Familien und zerstörte, zerrüttete Lebensgeschichten…. Und trotzdem kann überall dort auch Weihnachten werden.
„Fürchtet euch nicht“ trompeten die Engel in den Heiligabend-Himmel. Das heißt, es gibt eine Menge zum Fürchten. Wer könnte dem widersprechen? Das Licht scheint mitten in die Finsternis. Kaum ein Weihnachtslied, das die Erfahrung von hell und dunkel nicht zum Thema hätte. Die Geburtsgeschichte von Jesus ist selbst davon durchzogen: eine umstrittene Schwangerschaft, ein irdischer Vater, der sich gerne vom Acker machen würde, Hass der Obrigkeit, gefolgt von Gewalt gegen alle neugeborenen Kin-der. Ein erbärmlicher Geburtsort ohne alle Annehmlichkeiten. Später Flucht und Asyl. Eine verwunderliche Heilige Nacht. Aber die einzige, die einem etwas zu geben hat.
Pomp, Gans und andere feine Umstände kann man natürlich wertschätzen und genießen. Ein Trost in der eigenen Düsternis, in dem, was ein Mensch innerlich und äußerlich mit sich selbst und anderen erleidet, sind sie nicht. Weltlich gesprochen: Ein Gott, der im Palast mit Glanz und Gloria zur Welt kommt, der taugt wenig zum Zusammenleben. Dem kann man nicht recht glauben, dass er Ahnung hat von dem, was einen umtreibt, dass er sich wirklich und wahrhaftig leibhaftig mit unsereinem solidarisieren will. Aber so… Auch wenn die Dunkelheit immer wieder ihre Zeit hat: Es wird Weihnachten.