Murnau – Wer auf einer oberbayerischen Skipiste einen schweren Unfall erleidet, der landet häufig im Unfallklinikum in Murnau. Rund 2300 Mitarbeiter kümmern sich dort um die Patienten. In der Skisaison ist besonders viel zu tun. Prof. Dr. Fabian Stuby, 55, ist dort Ärztlicher Direktor. Im Gespräch erzählt er, welche Verletzungen im Winter besonders häufig vorkommen, warum Rodeln gerne unterschätzt wird und wie er bei einem prominenten Patienten selbst zum Skalpell griff.
Herr Stuby, die Skisaison beginnt gerade. Spüren Sie das in der Unfallklinik?
Am Wochenende vor Weihnachten hatten wir drei Skiunfälle, bei denen eine Operation nötig war. Zwei Unterschenkelfrakturen und eine Handgelenksfraktur. Und einige kleinere Verletzungen, bei denen aber keine OP nötig war. Bislang ist es also noch eher ruhig.
Gibt es die eine, typische Skifahrerverletzung?
Wer sich leichter verletzt hat und selbst noch ins Tal fahren kann, der geht oft in die Arztpraxis oder in eine kleinere Klinik. Bei uns landen eher die schweren Fälle, die mit dem Hubschrauber direkt von der Piste geholt oder mit dem Notarztwagen zu uns gefahren werden. Die typischen Skiverletzungen bei uns sind die Unterschenkelfraktur oder Knieverletzungen wie Verdrehtraumen mit Kreuzbandruptur oder Bänderverletzungen.
Wie oft landet bei Ihnen in der Hochphase der Skisaison der Hubschrauber?
Das können schon bis zu zehn Patienten von der Skipiste sein am Tag. Das geht jetzt erst richtig los. Die Weihnachtsferien sind in der Regel noch etwas ruhiger. Die Hochphase sind meist die Faschings- und die Osterferien, wenn die Schneeverhältnisse noch passen. Und sonst natürlich einzelne Wochenenden, wenn auf den Pisten in und um Garmisch viel los ist. Das spüren wir dann schon.
Hat sich das Verletzungsbild geändert, seit der Trend stärker zur Skitour statt zur Piste geht?
Vergangenen Winter hatten wir tatsächlich viele Lawinenopfer, die überregional zu uns verlegt wurden. Ich denke, das hängt schon mit dem Trend zum Tourengehen zusammen. Andererseits ist vergangenes Jahr auch eine Lawine auf eine normale Skipiste abgegangen – da sind auch zwei Verletzte zu uns gekommen. Lawinenunfälle oder Abstürze sind aber eigentlich typische Tourengeherunfälle, während es auf der Piste eher zu Zusammenstößen mit anderen Skifahrern kommt. Oder jemand fährt – wie bei einem Fall im vergangenen Jahr – gegen den Liftpfeiler.
Gerade zu Beginn der Saison liegt oft noch wenig Schnee. Steigt damit die Unfallgefahr?
Die ersten Unfallopfer in diesem Jahr waren vor allem Tourengeher. Es kommt schon immer wieder zu Stürzen, weil wenig Schnee liegt. Tourengeher berichten uns immer wieder, dass sie an umgeworfenen Bäumen, Ästen oder Steinen hängen geblieben sind. Das kann zu schweren Kopfverletzungen führen. Passiert allerdings bei sehr eisigen Bedingungen genauso.
Beliebt sind auch die Rodelbahnen. Was sagt der Unfallchirurg dazu?
Da passiert leider besonders viel, nach meinem Eindruck im Verhältnis sogar mehr als beim Skifahren. Beim Rodeln kommt es oft zu Wirbelsäulenverletzungen – von der Stauchung bis zur Querschnittlähmung.
Unterschätzen die Menschen die Gefahren beim Rodeln?
Ich fürchte ja. Oft wird dabei keine Schutzausrüstung getragen. Dann sind das oft größere Gruppen, die davor gerne mal auf der Hütte etwas zu viel trinken und dann im Dunklen noch herunterfahren. Da ist es mit der Vorsicht dann nicht mehr weit her. Hinzu kommt, dass nur die ausgewiesenen Rodelpisten gut gesichert sind. Bei vielen anderen stehen die Bäume direkt daneben. Und dann rauscht da mancher mit Vollkaracho in den Wald und muss hoffen, dass er keinen Baum erwischt. Oder er fährt durch eine Mulde und wird zusammengestaucht. Dieser Kompressionsmechanismus ist Gift für die Wirbelsäule.
Sind Wintersportler zu leichtsinnig?
Beim Rodeln würde ich das schon so unterschreiben. Erst gestern Abend sind mir bei einer Skitour am Hörnle sieben oder acht Rodler johlend mit großer Geschwindigkeit entgegengekommen. Zwar mit Lampe, aber bremsen können die im Ernstfall nicht mehr. Das ist Leichtsinn. Und bei den Skitouren sind in den vergangenen Jahren viele Anfänger dazugekommen. Da kann vermutlich nicht jeder die Risiken vom Schneeprofil bis zur Lawinengefahr schon gut genug einschätzen. Aber treffen kann es jeden. Die Fälle, die wir bisher in diesem Winter hatten, das waren alles erfahrene und trainierte Sportler, die einfach Pech hatten.
Gehen Sie selbst rodeln?
Selten. Früher mehr, als meine Kinder noch in dem Alter waren. Ich habe tatsächlich einen Helm auf beim Rodeln – auch wenn meine Kinder das früher immer doof fanden, dass sie auch einen Helm tragen mussten.
Vermiest einem das die Lust am Sport, wenn man jeden Tag sieht, was dabei passieren kann?
Nein. Vermiesen lasse ich mir das nicht. Aber ich gehe schon mit einem anderen Bewusstsein zum Sport und passe etwas mehr auf. Früher war ich etwas risikoreicher, was zum Beispiel Sprünge beim Skifahren anging. Aber man wird älter. Und wenn man jeden Tag seine Patienten sieht, schaut man sich die Skipiste schon genauer an und überlegt, wo da eine gefährliche Stelle sein könnte.
Im Funpark wird man Sie also nicht treffen?
Da war ich früher schon nicht. Meine Söhne fahren da gerne und ich denke mir immer: Ogottogott… Aber ich will es ihnen nicht verbieten. Sie tragen zumindest die komplette Schutzausrüstung.
Apropos Schutzkleidung: Rückenprotektor, ja oder nein?
Für Stauchungsverletzungen, also wenn die Wirbelsäule von oben nach unten zusammengedrückt wird, bringt der Rückenprotektor nichts. Aber wenn man direkt irgendwo dagegen prallt, dann hilft er schon. Deswegen kann ich als Unfallchirurg nur dazu raten, einen Rückenprotektor zu tragen!
Und der Helm ist mittlerweile ohnehin unstrittig?
Ja. Auf der Piste. Abseits der Piste. Und ich empfehle ihn auch beim Rodeln.
Zuletzt hatten Sie mit Manuel Neuer einen prominenten Patienten. Er hatte sich bei einer Skitour am Roßkopf den Unterschenkel gebrochen. Wie geht man mit so einem Fall um? Geht der erste Anruf an den FC Bayern?
In dem Fall war es so, dass er selbst schon seinen Mannschaftsarzt Dr. Jochen Hahne informiert hatte. Der Ablauf war Routine, wie andere Operationen auch. Aber natürlich ist uns als Klinik wichtig, dass davon erst mal nichts nach außen dringt, bis der Spieler sich selbst äußert. Auch wenn da natürlich viele Anrufe von diversen Medien kommen.
Landen bei Ihnen viele Profisportler?
Schon immer wieder. Wenn da während eines Spiels, eines Wettkampfs oder im Training – egal bei welcher Sportart – ein Unfall passiert, sind die Profis berufsgenossenschaftlich versichert und landen bei uns. Und gerade beim FC Bayern machen wir eigentlich alles, was die Füße betrifft. Im aktuellen Fall war es der Unterschenkel – und weil es zeitlich gepasst hat, habe ich selbst operiert.
Ist der Winter die arbeitsreichste Zeit in der Unfallklinik?
Die Skiunfälle machen viel Arbeit. Aber die Motorradsaison spüren wir genauso. Und da sind die Verletzungen oft noch schwerer. Das sind häufig sogenannte Polytraumen mit mehreren Verletzungen, die oft als einzelne schon lebensgefährlich sind. Diese Patienten bleiben tendenziell länger bei uns in der Klinik und müssen mitunter auch auf die Intensivstation – was bei Skiunfallopfern eher selten ist. Und es gibt noch eine Häufung im Sommer…
Nämlich?
Unfälle mit E-Bikes. Damit kommen auch Menschen, die sonst nicht so sehr in den Bergen unterwegs sind, bis auf den Gipfel. Aber sie bedenken nicht, dass sie mit diesem schweren Rad auch eine nicht ganz einfache Schotterpiste wieder hinunterfahren müssen. Das muss man können. Wir haben im Sommer sehr viele ältere Patienten mit Gesichtsschädelverletzungen. Die fallen immer buchstäblich aufs Gesicht. Da hatte unsere Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie diesen Sommer alle Hände voll zu tun. Deshalb unser Appell für alle Jahreszeiten: Unterschätzen Sie die Abfahrt nicht!
Interview: Dominik Göttler