RAF und GSG 9: Krisenmanager geht in Rente

von Redaktion

VON STEPHEN HANK

Reichersdorf – Die Online-Enzyklopädie Wikipedia liefert zu „Wolfgang Salewski“ keinen Eintrag. Ungewöhnlich für einen Mann, der Bundeskanzler Helmut Schmidt persönlich beraten und als Vorstandsvorsitzender jahrelang die Bayerische Brauholding (u.a. Paulaner, Hacker-Pschorr, Hopf) geführt hat. „Ich war lieber der Mann im Hintergrund“, sagt der 79-Jährige und lacht. Selbst in seinem kleinen Wohnort Reichersdorf bei Irschenberg (Kreis Miesbach) wussten nur wenige, was „der Herr Professor“ macht. Dass der bescheiden und leise auftretende Diplom-Psychologe zu den erfolgreichsten Krisenmanagern der Bundesrepublik zählt.

Es war der Tag nach dem Olympia-Attentat von München im September 1972. Der damals 29-jährige Salewski, bei einem Maschinenbauunternehmen als Betriebspsychologe angestellt, hatte einen Termin beim Münchner Polizeipräsidenten Manfred Schreiber. Ob er das Treffen angesichts der aktuellen Ereignisse lieber verschieben wolle, fragte Salewski vorsichtig nach. Schreiber wollte nicht – und bot dem jungen Mann eine freiberufliche Stelle als Polizeipsychologe an. Zwei Tage später – am 8. September 1972 – gründete Salewski in München sein Institut für Konfliktforschung und Krisenberatung. Zweieinhalb Tage pro Woche war er fortan für den Psychologischen Dienst der Stadt tätig, die übrige Zeit widmete er sich der Beratung von Unternehmen.

„,Polizeipsychologe‘ war damals noch ein sehr offenes Feld“, erinnert sich der Reichersdorfer. „Ich wollte Dinge grundlegend angehen.“ Basierend auf seinen psychologischen Studien und Erfahrungen, ersann er das Konzept der polizeilichen Verhandlungsgruppe. War es zuvor ein Sprecher der Polizei, der versuchte, das Gegenüber von der Unrechtmäßigkeit seines Verhaltens zu überzeugen, kam fortan ein trainiertes Team für Verhandlungsführung zum Einsatz. Es sollte die Situation deeskalieren und Zeit gewinnen, bis geeignete Maßnahmen zur Beendigung des Ereignisses eingeleitet sind. „Man kommt besser voran, wenn man zunächst Ruhe reinbringt“, weiß Salewski.

Die Verhandlungsgruppe wurde ein fester Bestandteil des polizeilichen Organisationsapparats. „Dieser Schritt war so eine Art Gütesiegel für mich“, erzählt Salewski. Viel beachtet waren auch die Analysen und Studien, die er und sein schon bald auf zehn Mitarbeiter angewachsenes Institut anfertigten. Unter anderem befasste er sich im Auftrag des Bundeskriminalamts mit dem Thema „Geiselnahme und erpresserischer Menschenraub“. Das Thema sollte ihn nicht mehr loslassen.

1977, im sogenannten „heißen Herbst“, holte ihn Bundeskanzler Helmut Schmidt nach der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer durch die Rote Armee Fraktion (RAF) in den Krisenstab. Salewski wertete die Schreiben der Entführer aus, handelte nach eigenen Worten sechs Wochen Zeit heraus. Als palästinensische Terroristen die Lufthansa-Maschine „Landshut“ entführten, um der Forderung nach Freilassung inhaftierter RAF-Terroristen Nachdruck zu verleihen, schickte ihn Schmidt nach Somalia. Auf dem Flughafen von Mogadischu beschäftigte Salewski die Geiselnehmer so lange, bis die Spezialeinheit GSG 9 eintraf. In enger Abstimmung mit Kommandeur Ulrich Wegener gab er das Signal zum Zugriff. Alle Geiseln kamen frei. Dass sich die inhaftierten RAF-Terroristen in der Folge das Leben nahmen und Schleyer ermordet wurde, schmerzt den Psychologen: „Wer hat ahnen können, dass sie im Gefängnis Zugang zu Waffen haben“, sagt er. „Durch den Selbstmord war das Leben von Schleyer für die RAF nichts mehr wert.“

Nach den Ereignissen lud ihn der Bundeskanzler zum Abschlussgespräch ein. Vier Stunden saßen die beiden beisammen, redeten im Zigarettendunst über Gott und die Welt. Ein prägendes Erlebnis. „Ich war damals ja gerade mal 34 Jahre alt“, sagt Salewski. Nach dem erfolgreichen Einsatz in Mogadischu verpflichtete die GSG 9 sein Institut, die Auswahl und Entwicklung der Spezialeinsatzkräfte zu begleiten und die Führung zu beraten. Der Vertrag gilt bis zum heutigen Tag.

Fortan kamen der Psychologe und sein Team in einer Vielzahl von Krisen zum Einsatz: Entführungen, Erpressungen, Geiselnahmen. Salewski bereiste die ganze Welt und beendete im Auftrag von Regierungen und Konzernen – meist geräuschlos – Konflikte. Sein Name tauchte in Zusammenhang mit den Ereignissen nie in der Öffentlichkeit auf. Auch die Familie ließ er im Unklaren. „Sie wussten nie, wo ich bin“, erinnert sich der Vater eines Sohnes und einer Tochter, die während ihrer Schulzeit stets Polizeischutz hatten. „Was meinen Beruf betrifft, herrschte zu Hause Schweigen.“

Angst ums eigene Leben überkam den Psychologen nie. „Wenn ich einen Fall hatte, bin ich immer ganz ruhig geworden. Ich hatte nie das Gefühl, dass mir etwas passieren könnte“, gesteht er. Durch seine Zusammenarbeit mit der GSG 9 habe er „ein gutes Potenzial an Selbstverteidigungen“ gehabt. Nur einmal, bei einer Geldübergabe, sei er bewaffnet gewesen. Benutzen musste er die Pistole nicht.

Im Jahr 2000 wechselte er in die Unternehmensgruppe von Josef Schörghuber. Salewski beriet ihn in vielen Fragen der Unternehmensführung und der Struktur der Gruppe, begleitete nach Schörghubers Tod den Übergang des Konzerns auf dessen Sohn Stefan und wechselte schließlich – als Angestellter – in den Vorstand der Gruppe. Unter anderem handelte er den Kauf der Miesbacher Weißbierbrauerei Hopf aus.

Nach seinem Ausscheiden bei Schörghuber schrieb Salewski ein Buch über „Die Kunst des Verhandelns“ und arbeitete noch 14 Jahre als freiberuflicher Berater. Für Mitglieder der schwerreichen Unternehmerfamilie Reimann (u.a. Jacobs, Schweppes, Calgon) erarbeitete er ein Sicherheitskonzept.

Seit heuer ist aber Schluss, Salewski endgültig im Ruhestand. Er möchte nun ein Buch über die Colonia Dignidad in Chile schreiben. Über mehrere Jahre hatte er ab 1987 zunächst über die Freilassung der dort festgehaltenen deutschen Baptisten und später über die Auflösung der Kolonie verhandelt.

Wegen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und der Menschenrechtsverletzungen während der Pinochet-Diktatur war die Siedlung weltweit in die Schlagzeilen geraten. Das war einer der wenigen Einsätze, die ihn in seinem langen Berufsleben psychisch stark belastet hat. „Mir ist oft fast schlecht geworden.“

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