Die Schöne und ihr Biest

von Redaktion

VON DOMINIK STALLEIN

Wolfratshausen – Wenn Regina Huber gefragt wird, wie es ihr geht, antwortet sie selten ehrlich. „Die Wahrheit will keiner hören“, sagt sie. „Passt schon“ oder „alles gut“, das kriegen die Menschen zur Antwort. Wie es ihr oftmals wirklich geht, trägt sie auf einer dezenten Goldkette um ihren Hals. Darauf steht das Wort „Daschissn“. Sie hat das Schmuckstück selbst gestaltet. Zum einen, weil sie es lustig findet, und weil es zu ihrem Naturell als „boarische Grantlhuaberin“ passt. Und ein bisschen, weil es oft die ehrliche Antwort auf die Frage nach ihrem Befinden wäre.

Regina Huber ist 31, stolze Bayerin, Model – und unheilbar krank. Erfahren hat sie das vor zehn Jahren. Seither wurde sie sechs Mal operiert, zwei Mal rettete ihr die Behandlung das Leben. Sie hat ihre Krankheit Nelson getauft. Das klinge besser und es gehe leichter von den Lippen als Morbus Crohn (siehe Kasten). Nelson ist ziemlich lästig, darüber könnte der Kosename fast hinwegtäuschen.

Mit 16 Jahren merkte die Wolfratshauserin, dass etwas nicht stimmt. Bauchschmerzen plagten sie – länger und intensiver, als sie es je zuvor erlebt hatte. Fünf Jahre lang litt sie unter einer Krankheit, die keiner erkannte. Bis die Schmerzen so schlimm wurden, dass sie zwei Wochen lang im Krankenhaus lag. Die erste Diagnose: Norovirus. Damit lagen die Ärzte daneben. Weil sich ihre Situation einfach nicht bessern wollte, wurde sie nochmals untersucht. Ein CT zeigte erstmals, woran das junge Mädchen litt. Ihr Blinddarm war geplatzt, ihr Dünndarm schwer entzündet, Stuhl schwamm frei im Bauch. Die Diagnose Morbus Crohn kam fast zu spät, eine Not-Operation rettete der Wolfratshauserin das Leben.

Seit diesem Tag vor mehr als zehn Jahren wurde Huber noch fünfmal operiert. Momentan geht es ihr ganz gut, Nelson ist ruhig. „Ich genieße diese Phasen, weil ich weiß, dass wieder Zeiten kommen, in denen ich wochenlang ausgezutzelt bin wia a Weißwurst.“ So offen wie heute war sie nicht immer. „Es hat gedauert, bis ich wirklich darüber reden konnte.“ Inzwischen macht Huber das – und zwar in einfachen, am liebsten bayerischen Bildern. Sie will, dass man sie versteht. Sie spricht nicht von regelmäßiger Diarrhoe, sondern von „dauerndem Dünnschiss“. Vielleicht nehmen manche daran Anstoß. „Aber des is mia wurscht.“

Allgemein ist der 31-Jährigen vieles wurscht. Auf der Online-Plattform Instagram postet sie freizügige Model-Fotos neben beklemmenden Klinik-Aufnahmen. Auf ihren linken Oberschenkel hat sie den Schmied von Kochel, auf den rechten den Räuber Kneißl tätowieren lassen – höchst umstrittene Gestalten. Demnächst will sie einen Wolpertinger auf ihrem Oberarm verewigen. Anfragen von Fotografen, die ihre Narben retuschieren möchten, lehnt das Teilzeit-Model konsequent ab. Und wenn sie so vom Modeln, ihren Tattoos und witzigen Videos auf Instagram erzählt, klingt es, als wäre ihr Morbus Crohn im Alltag auch ziemlich wurscht. Wahr ist das nicht.

Drei Mal in der Woche besucht sie Ärzte, ein Mal einen Psychologen und sammelt unterwegs ärztliche Befunde wie Fußballfans Panini-Sticker. 15 Stunden in der Woche arbeitet sie als Buchhalterin. Mehr geht nicht. „Ich bin nicht belastbar“, sagt sie. Und eigentlich hat sie mit ihren Arztfahrten ohnehin schon einen Vollzeitjob. Es ist der einzige, den sie in ihrem Leben noch machen wird. „Ich weiß, dass ich nie in Vollzeit arbeiten kann“, sagt die 31-Jährige. Schon nach wenigen Stunden im Büro merkt sie das. „Es fühlt sich an wie drei Tage auf der Baustelle.“

Neben ihrem Beruf und ihrer Model-Passion engagiert sich Huber für andere Kranke. Die Wolfratshauserin ist Botschafterin der Lila Hoffnung, einer Initiative, die über Darmkrebs und chronische Darmerkrankungen aufklärt und Kranke unterstützt. Hoffnung hätte sich Huber vor einigen Jahren auch gewünscht, als sie in der Klinik lag und nicht wusste, wie es weitergeht. Und jemanden, der sich nicht hinter Diagnosen versteckt, sondern sagt, wie’s ist.

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