Edmund Stoiber (81) war bayerischer Ministerpräsident, als Joseph Ratzinger Papst wurde. Doch der CSU-Politiker war dem Theologen viel länger verbunden. Als junger Jurist schon hatte er Ratzingers Vorlesungen in Regensburg gehört. Wir sprachen mit ihm über den Tod des emeritierten Papstes.
Herr Stoiber, wie sehr hat Sie die Nachricht des Todes berührt?
Außerordentlich, weil ich ihn auch persönlich gut gekannt habe. Meine Frau und ich sind zutiefst betroffen. Der emeritierte Papst war ein großartiger Mensch. Ich habe in meinem Leben keinen zweiten Menschen getroffen, der komplexe Sachverhalte so brillant und verständlich ausdrücken konnte. Er verkörperte den traditionellen Glauben und die gewachsenen Positionen und führte die Auseinandersetzung darüber mit unvergleichlicher intellektueller Präzision und Prinzipientreue, ohne menschlich zu verletzen.
Wie kann man sich den Kontakt zwischen Ihnen und Joseph Ratzinger vorstellen?
Der Kontakt kam ja nicht erst zustande, als ich Ministerpräsident wurde. Und als ich ins Amt kam, war Ratzinger noch Präfekt der Glaubenskongregation. Ich habe damals seinen Rat gesucht, weil in Deutschland darüber diskutiert wurde, zur Finanzierung der Pflegeversicherung den Pfingstmontag abzuschaffen. Wegen meiner besonderen Skepsis wollte ich mit ihm sprechen. Ratzinger lieferte die entwaffnende Information, dass in Italien das Pfingstfest völlig an Bedeutung verloren hatte, nachdem Pfingstmontag als Feiertag abgeschafft worden war. Dieser Rat hat mich bestärkt und hat zur Rettung des Feiertags beigetragen.
Heute wird der emeritierte Papst auch kritisch betrachtet, vor allem wegen der verschleppten Aufarbeitung des Missbrauchskandals. Wie sehen Sie das?
Das ist ein Problem. Die Empathie für die betroffenen Menschen ist zu wenig sichtbar geworden. Da ist der Halt durch den Glauben für viele Menschen brüchiger geworden. Und jetzt stellt sich die Frage: Was wird für sie an diese Stelle treten? Wir stehen jetzt vor einer der größten Herausforderungen – in der Welt, in Europa, auch in Deutschland. Jetzt geht es darum, dass die christlichen Kirchen ein Fels in der Brandung bleiben. Wir werden alle individualistischer und selbstbestimmter, und das ist auch gut so. Auf der anderen Seite ist alles dafür zu tun, um unser Gemeinwesen zu stabilisieren und den Menschen im Glauben einen Halt zu geben. Das war auch sicher Benedikts große Sorge, die er gesehen hat.
Werden Sie zur Trauerfeier nach Rom fahren?
Nein. Bayern repräsentiert der Ministerpräsident. Er weiß, welche Bedeutung die katholische Kirche nach wie vor in Deutschland und speziell in Bayern hat. Meine Frau und ich werden uns die Trauerfeier am Fernsehen anschauen. Wir verneigen uns – auch angesichts von mancher Kritik an ihm – vor Benedikt XVI. in tiefer Trauer.
Interview: Claudia Möllers