Wer krank ist, will die beste Behandlung bekommen: Das ist heute nicht anders als vor 500 Jahren. Für die Operation von Blasensteinen und Eingeweidebrüchen war einst das Schneidhaus der Fugger in Augsburg die Top-Adresse. Dort operierten Experten mit den modernsten Methoden. Wie das ablief, berichten die Historikerin Annemarie Kinzelbach und Direktorin des Medizinhistorischen Museums in Ingolstadt, Marion Ruisinger.
Waren die Menschen, die sich vor 500 Jahren operieren ließen, sehr mutig oder sehr verzweifelt?
Ruisinger: Man ging zum Schneidarzt, wenn Arzneien und Gebete nicht geholfen haben. Blasensteine sind extrem schmerzhaft. Sie kamen damals aufgrund von Infektionen, Hungersnöten, einseitiger Ernährung und Harnröhrenverengungen bei Buben schon in jungen Jahren häufig vor. Kinzelbach: Es sind auch immer wieder Patienten weggeschickt worden mit der Begründung, sie seien zu schwach und würden die Operation nicht überleben.
Wo gab es solche Ärzte?
Kinzelbach: Städter hatten Glück, für sie gab es meist einen von der Stadt bestallten Spezialisten. Diese Ernennung war eine Qualitätskontrolle für die Kranken. Wer nicht in der Stadt wohnte, war auf wandernde Steinärzte angewiesen. Beim Schneidhaus der Fugger wurden regionale Spezialisten, aber auch Italiener angeworben.
Ruisinger: Die Ärzte operierten Blasensteine mit einer neuen Methode, die erst wenige Jahrzehnte zuvor entwickelt worden war. Mit der ursprünglichen Technik konnten nur Kinder, Jugendliche oder sehr zierliche Erwachsene operiert werden. Es hat also ein Wissenstransfer von Operationstechnik und Instrumentenbau von Italien nach Augsburg stattgefunden. Das ist wirklich bemerkenswert.
Wie groß war das Krankenhaus?
Kinzelbach: Aus Inventarlisten wissen wir, dass es ein großes Krankenzimmer mit elf Betten bzw. Wiegen gab. Ruisinger: Wo häufig operiert wurde, gab es einen dafür vorgesehenen Raum. Das ist für das Schneidhaus sehr wahrscheinlich. Aber es wurde auch zu Hause operiert. Es gab noch keine Vorstellung von Sterilität, geschweige von Bakterien.
Die Operationen wurden bei vollem Bewusstsein vorgenommen, wurden die Patienten wenigstens betrunken gemacht?
Ruisinger: Ein Chirurg wollte immer den wachen Patienten. Nicht um ihn zu quälen, sondern um sicher zu sein, dass er auf der Seite des Lebens steht. Die Vorstellung von der segensreichen Bewusstlosigkeit ist sehr modern, weil wir die Narkose heute kontrollieren können. Damals war eine Ohnmacht das Schlimmste, was dem Chirurgen passieren konnte.
Hat der Schneidarzt sich die Ohren verstopft, um die Schmerzensschreie auszublenden?
Ruisinger: Nein, er musste beherzt und schnell arbeiten, als ob „der Patient nicht schrie“ – so steht es in den Büchern. Der Schneidarzt konnte die Schmerzen nicht nehmen, aber er konnte sie so kurz wie möglich halten. Eine unkomplizierte Blasenstein-Entfernung hat nur wenige Minuten gedauert. Eine flinke Handhabung der Instrumente hat einen guten Chirurgen ausgemacht.
Vor der OP wurde gebadet und gebetet, warum?
Ruisinger: Der Patient nahm ein langes Bad, damit das Gewebe aufweicht. Man hatte die Vorstellung, die Operation verlaufe dann weniger schmerzhaft. Das gemeinsame Beten um ein gutes Operationsergebnis war eine große mentale Hilfe, weil man wusste, das Leben hängt nicht nur vom Geschick des Chirurgen ab, sondern der Herrgott ist dabei. In der ganzen Behandlung im Schneidhaus spielt Religion eine große Rolle.
Kinzelbach: Die Fugger wollten ein gottgefälliges Werk tun, im überwiegend lutheranischen Augsburg unterstützten sie die katholische Bevölkerung. Die Behandlung stand bedürftigen Katholiken offen, die ein Empfehlungsschreiben hatten. Wer eine Überweisung ins Schneidhaus erhielt, bekam die Operation und die rund achtwöchige Genesung im Spital bezahlt.
Warum wurde nicht genäht?
Ruisinger: Im Schneidhaus wurden fast ausschließlich Bruchleiden und Steinleiden behandelt. Beim Bruch- und Steinschnitt wurden die Operationswunden nicht genäht, sondern mit geschickten Verbänden so versorgt, dass die Wundränder dicht beieinander lagen und von innen heraus heilen konnten. Wäre die Wunde verschlossen worden, hätte sich darunter eine Abszesshöhle gebildet. Damit die Wunden nicht immer wieder aufrissen, galt strenge Bettruhe. Kindern wurden die Beine zusammengebunden, damit sie nicht wild strampeln konnten.
Wie teuer war die Behandlung?
Kinzelbach: Aus den Unterlagen geht hervor, dass der Arzt für seine Behandlung mit etwa zwei bis drei Gulden entlohnt wurde, für eine Woche Pflege erhielt der Hausvater einen Gulden. Zum Vergleich: 60 Semmeln, die damals mehr wert waren als ein Brot, entsprachen einem Gulden. Ein bei einem Hospital angestellter Schuster hätte acht Gulden im Jahr verdient bei freier Kost und Logis.
Wie viele Patienten wurden als geheilt entlassen?
Ruisinger: In einigen Rechnungsbüchern im Archiv war vermerkt, ob die Patienten überlebten. 92 Prozent haben überlebt und wurden nach Hause entlassen. Das ist eine sehr niedrige Sterblichkeit, wenn man bedenkt, dass die Mehrheit der Menschen sehr krank war und eine lange Leidenszeit hinter sich hatte.
Interview: Susanne Stockmann