München – Es werden alle Register gezogen: Ein Videofilm zeigt mit Statements von Kardinal Reinhard Marx, dem Generalvikar Christoph Klingan, von Vertretern der Aufarbeitung und der Seelsorge, wie wichtig das Erzbistum München und Freising die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals nimmt. In einem fast 60-seitigen Heftchen werden die vielfältigen Bemühungen des Münchner Erzbistums zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in Wort und Bild dargestellt – als Beweis dafür, dass das Erzbistum seine Hausaufgaben gemacht hat.
Bemerkenswert sind vor allem die Worte des Kardinals, der ein Jahr nach Veröffentlichung des zweiten Münchner Missbrauchsgutachtens bekennt: „Ich glaube, das war das größte Defizit: dass wir den Blick für die Betroffenen nicht wirklich hatten. Wir haben uns bemüht, vielleicht auch in der Vergangenheit, vieles richtig zu machen. Aber die Betroffenen wirklich anzuschauen, mit ihnen zu reden, ihre Geschichte zu hören, das ist erst 2010 in Gang gekommen. Das müssen wir als Kirche, das muss ich als Erzbischof selbstkritisch einräumen.“ Das Schuldeingeständnis verbindet Marx mit der Bitte um Verzeihung: „Für das damit verbundene Leid werde ich immer in der Verantwortung stehen und bitte darum nochmals um Entschuldigung“, sagte Marx. „Ich kann Geschehenes nicht rückgängig machen, aber jetzt und zukünftig anders handeln. Und das tue ich.“
Als Beleg dafür stellte der Kardinal zusammen mit Mitarbeitern aus der Bistumsleitung vor, was in den vergangenen zwölf Monaten an Maßnahmen auf den Weg gebracht worden ist. Neben einer Stabsstelle „Seelsorge und Beratung für Betroffene“ wurde auch eine telefonische Beratungsstelle eingerichtet. Vor allem hat der Kardinal die Gespräche mit Betroffenen intensiviert. „Da sind immer noch mehr Dinge möglich, aber ich bin auf dem Weg.“ Eine Einschätzung, die auch Richard Kick, Sprecher des Betroffenenbeirats, teilt. Viel sei auf Anregung der Betroffenen auf den Weg gebracht worden. Die neu eingerichtete Stabsstelle im Ordinariat zur seelsorglichen Betreuung von Missbrauchsopfern werde gut angenommen. Trotzdem liege noch ein steiniger Weg vor ihnen: „Mit den Anerkennungsleistungen kann kein Betroffener zufrieden sein. Im Gegenteil: Sie fühlen sich ein zweites Mal missbraucht.“ Wichtig sei auch, dass der Staat den Missbrauch in Schulen, Vereinen und Kinderheimen aufarbeite. „Auch da müssen Archive geöffnet werden und man muss reinschauen.“ Ebenso müsse die Aufarbeitung in den Orden angegangen werden. „Hier findet körperlicher und sexueller Missbrauch bis heute statt. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, den Finger in die Wunde zu legen.“
Seit Juli haben bei der kirchlichen Stabsstelle „Seelsorge und Beratung“ 100 Hilfesuchende angerufen, die Hälfte von ihnen seien kirchliche Missbrauchsfälle, betonte Kilian Semel, Leiter der Stabsstelle und selbst Missbrauchsbetroffener. 27 bezogen sich auf den Bereich des Erzbistums, die anderen auf andere Diözesen und Orden. Es sind überwiegend Menschen im Alter zwischen Anfang 40 und Anfang 80. „Da sieht man die Jahre, in denen Missbrauch vorrangig stattgefunden hat und nicht wahrgenommen wurde.“
Ein Jahr nach dem zweiten Gutachten ist das Entsetzen über die Taten noch immer groß. „Der Schrecken ist geblieben“, sagte der Kardinal. „Missbrauch ist und bleibt eine Katastrophe.“ Marx rief alle Betroffenen auf: „Bitte melden Sie sich.“ Ein Jahr danach gibt es auch Anerkennung für die Bemühungen des Erzbistums. Sogar die kritische Organisation „Wir sind Kirche“ spricht von einer „eindrucksvollen Bilanz“, die zeige, wie unverzichtbar die Zusammenarbeit mit den von Missbrauch Betroffenen sei.