160 Meldungen zu Gewalt und Missbrauch im SOS-Kinderdorf

von Redaktion

Vorfälle reichen bis in die 1960er-Jahre zurück – Kommission sucht mit Zeitungsanzeigen nach Betroffenen

München – Ein SOS-Kinderdorf soll eine Zuflucht sein für Kinder, die es im Leben schwer haben. Genau dort aber sollen Minderjährige, die Schutz suchten, zu Opfern geworden sein. 160 Hinweise auf Gewalt und Missbrauch sind aus ganz Deutschland in den vergangenen Jahren beim SOS-Kinderdorfverein eingegangen. „Diese 160 Meldungen stammen sowohl von aktuellen als auch ehemaligen Betreuten“, sagte der Vorsitzende der vom Verein eingerichteten, unabhängigen Kommission zur Anerkennung und Aufarbeitung erlittenen Unrechts, Klaus Schäfer. „Die darin gemeldeten Vorfälle reichen bis in die 1960er-Jahre zurück.“

Rund die Hälfte der Meldungen machten Fälle aus, in denen Kinder und Jugendliche sich gegenseitig Gewalt angetan hatten. Es gebe aber auch Vorwürfe von Gewalt und sexuellem Missbrauch durch Betreuer, sagt Schäfer. „Dabei geht es vor allem um Fälle der gewaltgeprägten Pädagogik, die es in vielen Erziehungseinrichtungen gab.“

Anfang Oktober 2021 hatte eine Studie Schlagzeilen gemacht, die „Grenzüberschreitungen“ zweier Betreuerinnen in einem Kinderdorf in Bayern nahelegen. Aus der Untersuchung des renommierten Missbrauchsexperten Heiner Keupp geht hervor, dass die beiden ehemaligen Mitarbeiterinnen ihnen anvertrauten Kindern „Leid“ zugefügt haben. Bei den konkreten Vorwürfen soll es beispielsweise um gemeinsames Duschen gehen oder Hygienemaßnahmen, die die Schamgrenzen der Kinder verletzten. Außerdem soll eine Fünfjährige allein in einen dunklen Keller gesperrt worden sein, ein Junge habe in Hausschuhen schlafen müssen, weil seine Dorfmutter sie ihm mit Klebeband an den Füßen befestigt hatte.

Die Staatsanwaltschaft Augsburg nahm Ermittlungen auf. Fünf Verfahren sind dort bekannt, zwei wurden eingestellt. Weil der Kinderdorf-Verein auch nicht untätig bleiben will, richtete er die Kommission ein. Sie schaltete nun Anzeigen – auch in unserer Zeitung – in denen Betroffene aufgerufen werden, sich zu melden. Für diesen Sommer wird eine erste Einschätzung der Kommission erwartet, ein Bericht ist für Sommer 2024 geplant.

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