Wohin der Bayer vor 150 Jahren verreiste

von Redaktion

HISTORISCH! BAYERN & SEINE GESCHICHTEN Arber, Rusel, Zwiesel – Notizen von Ausflug anno 1872

Otterfing – Es ist das Tagebuch eines Unbekannten, niemand kennt seinen Namen und sein Schicksal. Nur ein Notizbuch ist geblieben, eine schmale Kladde, ledergebunden und dicht teils mit Tinte, teils mit Bleistift beschrieben. Der ehemalige Bahnbedienstete Albert Weber aus Otterfing im Kreis Miesbach hat das Notizbüchlein von einer vor längerer Zeit verstorbenen Bekannten erhalten.

Jetzt hat er sich damit intensiver befasst – und ist auf eine faszinierende Reisebeschreibung gestoßen. Die Rundreise meist per Bahn führte von München raus nach Regensburg und weiter in den Bayerwald – und dann in einem Bogen über Passau wieder zurück. Kaum eine Sehenswürdigkeit wurde ausgelassen. Es ist eine Reise zum Nachmachen!

Am 7. Juli 1872 brach der Unbekannte auf: „Um 5 Uhr mit Eisenbahn nach Regensburg, 1/2 10 Uhr angek.(ommen), in Weidenhof logiert“ – so beginnt die Reisebeschreibung. In der Tat: Damals fuhr schon die Eisenbahn, 1859 war die Linie der „Königlich privilegierten Aktiengesellschaft der bayerischen Ostbahnen“ eröffnet worden. Auch das erwähnte Hotel Weidenhof in Regensburg gibt es noch. Sogleich wurden Sehenswürdigkeiten abgeklappert: „Dom – Donaubrücke – Wurstküche – Stadtamhof“, notierte der Mann. Mit der Donaubrücke war vermutlich die Steinerne Brücke aus dem 12. Jahrhundert gemeint. Sie ist heute für den Autoverkehr gesperrt – damals aber war sie viel frequentiert. Eine Zählung im Jahr 1876 ergab, dass täglich über 22 000 Personen und 660 Fuhrwerke die Brücke benutzten. Die Wurstküche gleich unterhalb der Brücke gibt es seit über 500 Jahren. Damals kostete eine Portion Bratwürste 9 Pfennig, wie der Unbekannte notierte. Stadtamhof, seit 1924 ein Stadtteil von Regensburg, war damals noch eine eigenständige Stadt.

Am 8. Juli ging die Reise weiter: Es gab noch einige Besichtigungen („Bischofshof gutes Bier“) , dann ging es um 3 Uhr nachmittags per Zug nach Cham mit Umstieg in Schwandorf. Schon damals war die Reise mit der Bahn nicht immer erfreulich: „Große Hitze – Schwandorf 1 Stunde warten“, lautet der Eintrag im Notizbuch. Im Cham wurden das Münster und der Kalvarienberg besucht, von dort ging die Reise weiter nach Kötzting („in alter Post übernachtet“) und Bodenmais.

Am 11. Juli stand dann eine Bergtour an: „6 Uhr früh mit Führer (64 Jahre alt) auf Arber mit Lebensmitteln“, lautet der Eintrag. „Höchster Punkt, kalter Wind.“ Im Vorbeigehen wurde die bekannten Rißloch-Wasserfälle mitgenommen – die Tour dauert heute mindestens fünf Stunden und war damals wahrscheinlich auf noch nicht so gut ausgebauten Wegen um einiges beschwerlicher. Wen wundert’s, dass sich der Wandersmann über „gutes kaltes Wasser“ an einer Quelle freute? Über Bayerisch Eisenstein ging es zurück, zwischendrin wurde noch das Schloss Rabenstein besucht, ehe es nach Zwiesel ging – und das alles an einem Tag. Kein Wunder, dass der Reisende völlig erledigt war. „Diaröh – Regen – auf Post übernachtet“, lautet der Eintrag.

Am 12. Juli ging die Reise aber schon weiter: Diesmal war die Glashütte von Poschinger Theresienthal das Ziel – die Kristallglasmanufaktur im Bayerischen Wald gibt es noch heute.

Am 13. Juli fuhr der Reisende nach Deggendorf „mit Postomnibus“, womit nach Lage der Dinge nur ein Pferdegespann gemeint gewesen sein kann. Heute geht es schneller: Die Waldbahn braucht von Zwiesel nach Deggendorf 45 Minuten. In Deggendorf ging er zur Rusel – ein Ausflugsgebiet – „Brücke, Kirchen, Judenverfolgung“, lautete der weitere Eintrag. Mit letzterem wohl gemeint: die „Deggendorfer Gnad“, eine judenfeindliche Wallfahrt, die erst 1992 vollends eingestellt wurde. Die nächsten Stationen: Plattling, Vilshofen, wo eine Ruine besucht wurde (eventuell Burgruine Hilgartsberg), und Passau. Ilzstadt, Altstadt, Innstadt, Calvarienberg, aber auch die Kettenbrücke notierte der Mann als Sehenswürdigkeiten. Die Kettenbrücke, eigentlich Kettensteig, ist heute als Luitpoldbrücke bekannt.

Langsam ging nun die Reise zu Ende: Am 16. Juli war er in Altötting. In Winhöring nahe Neuötting besuchte er noch das Schloss Frauenbühl aus dem 15. Jahrhundert.

Dann fuhr er „mit Eisenbahn über Mühldorf, Ampfing, Dorfen“ zurück nach München. Die gut einwöchige Bayern-Tour war zu Ende. DIRK WALTER

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