München – „Wenn’s Arscherl brummt, ist’s Herzerl gsund.“ Diese Weisheit wird in Altbayern bei passender Gelegenheit auch heute noch gerne angebracht. Es ist nicht die einzige Redewendung, die sich auf den Gesundheitszustand, körperliche Unpässlichkeiten oder die Heilung von Krankheiten bezieht und auf eine lange Tradition zurückblicken kann. „Es gab eine ganze Reihe vernünftiger Gesundheitstipps, die beruhten auf Erfahrung und wären heute auch noch gerechtfertigt“, erläutert Sprachwissenschaftler Helmut Seidl.
Der Sprichwort-Experte hat vor Kurzem das Buch „Obacht geben, länger leben! Vorbeugen und heilen im alten Bayern“ veröffentlicht. Darin finden sich jede Menge Ratschläge und Praktiken, nach denen die Menschen bis weit ins 19. Jahrhundert hinein sich gesund zu erhalten versuchten. Denn Ärzte gab es höchstens in den Städten, und selbst deren Wissen war oft wenig hilfreich. Dem Bader vertraute man sich sowieso nur an, wenn man anders nicht mehr weiterwusste.
Das gemeine Volk musste sich daher selbst behelfen und orientierte sich an zahlreichen mündlich überlieferten Ratschlägen. Diese volksmedizinischen Empfehlungen gingen oftmals auf ein Lehrgedicht der Medizinschule von Salerno aus dem 12. Jahrhundert zurück, das sich europaweit verbreitet hatte.
Nicht alle darauf zurückzuführenden Tipps halten heutigen Erkenntnissen stand. Zum Beispiel beruht „Auf an Katznjamma g’hört a frische Mass Bier“ auf dem Rat der Süditaliener, wer abends zu viel Alkohol getrunken habe, solle am nächsten Morgen vom selben Getränk erneut trinken, um den Kater zu bekämpfen. Heute empfiehlt man in solchen Fällen eindeutig Wasser.
Auch die weitverbreiteten, oft als Festtag begangenen und sogar während Schwangerschaften beliebten Aderlässe entsprechen heute schon lange nicht mehr medizinischem Standard. „Diese Empfehlungen und Praktiken sind alle zu verstehen vor dem Hintergrund des Vier-Säfte-Konzeptes“, erläutert Seidl. Danach gab es im menschlichen Körper vier Säfte – Blut, gelbe und schwarze Galle und Schleim. Und eine Krankheit war die Folge davon, dass einer der Säfte im Übermaß vorhanden oder gar verdorben war. Entsprechend trachtete man danach, diesen Saft loszuwerden.
Weitere Grundlage der Gesundheitsregeln waren laut Seidl Aberglauben und Religion. Zum Beispiel der Wiener Walzer: Tanzen per se hielten viele Menschen und selbst Ärzte für ungesund, weil man glaubte, dass sowohl durch die üblichen Gruppentänze als auch speziell durch das Walzertanzen die Lungensucht entstehen könnte.
„Und dann kommt noch der religiöse Standpunkt hinzu. Da glaubte man, Walzertanzen führe wegen des engen Körperkontakts zu Unkeuschheit, und Unkeuschheit war ja eine der sieben Todsünden“, schildert Sprachwissenschaftler Seidl. Entsprechend bekamen katholische Walzertänzer bei der Beichte vom Pfarrer keine Absolution erteilt.
Neben überregional gültigen Gesundheitstipps gab es auch regionale Besonderheiten. Speziell bayerisch war bei Kopfweh oder Migräne das Abmessen. „Das machte meistens eine kundige Frau, die maß mit einem Band den Kopf des Leidenden und stellte fest, dass der Kopf das richtige Maß nicht hatte, weil man glaubte, dass sich die Schädelplatten voneinander spalten würden bei Kopfweh“, schildert Seidl, der sich an den Universitäten Nürnberg und Augsburg über Jahrzehnte mit medizinischen Sprichwörtern befasste. „Und deshalb trachtete man, die Platten wieder zusammenzubringen und verband den Kopf straff und sagte ein paar Segens- und Heilsprüche auf.“
Auch Priestern wurde so manch heilende Fähigkeit zugeschrieben, und so galt denn auch die Weisheit: „Beicht macht leicht“ – und gesund. Nutzte alles nichts, konnte sich der Siechende wenigstens noch mit diesem alten Sprichwort trösten: „An Doud fürchtn is schlimmer wia’s Sterbn!“
Das Buch
„Obacht geben, länger leben! Vorbeugen und heilen im alten Bayern“ von Helmut A. Seidl. Volk Verlag.
192 Seiten, 20 Euro.