Planegg – Corona, Krieg und Inflation. Was hätte wohl Karl Valentin dazu gesagt? Vielleicht „Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist“. Es ist eines der vielen unvergessenen Zitate des Wort-Akrobaten, das an der Wand im Wohnzimmer des Karl-Valentin-Hauses in Planegg im Kreis München hängt. Dort, wo der Autor, Komiker und Filmemacher ab 1941 gelebt hat, wohnt jetzt seine Urenkelin Rosemarie Scheitler-Vielhuber mit ihrem Mann. Sie versucht, das Andenken ihres Urgroßvaters mit Karl-Valentin-Abenden und einem Blick in die privaten Räumlichkeiten aufrechtzuerhalten.
Das Haus hatte Karl Valentin 1924 gekauft. Doch als Eigentümerin wurde seine Frau Gisela eingetragen. Rosemarie Scheitler-Vielhuber hält die Urkunde von 1924 in ihren Händen. „Das war sehr schlau von ihr. So konnte er es nicht verkaufen“, sagt die 57-Jährige. Ihre Urgroßmutter habe die Natur Valentins gut gekannt. Wenn er wieder einmal in Geldnöte geraten wäre, wäre das Haus wohl weg gewesen. Und das war im Leben des schlaksigen Mannes mit der markanten Nase und dem unverwechselbaren Humor mehr als einmal der Fall.
1934 eröffnete er sein Panoptikum, eine Grusel- und Kuriositätenschau im Keller des Hotel Wagner in der Münchner Sonnenstraße. Die Schau war kein Erfolg, schon bald musste Valentin wieder schließen. Seine Bühnenpartnerin Liesl Karlstadt und er verloren einen Großteil ihres Vermögens.
Während des Zweiten Weltkriegs war die Münchner Wohnung des Künstlers durch einen Bombenangriff zerstört worden. Auch Bühnenauftritte waren nicht mehr möglich. Karl Valentin hat sich und die Familie mit seinem ursprünglich erlernten Beruf des Schreiners zu ernähren versucht. Scheitler-Vielhuber öffnet einen Glasvitrinenschrank in dem ein Zollstock und zwei gelbe Bleistifte liegen. Sie sind so kurz, dass man sie kaum in den Fingern halten kann. „Die sind noch von ihm“, sagt sie und nimmt einen grünen Holzapfel und eine grüne Birne aus der Vitrine und legt ein Foto daneben. Die Schwarz-Weiß-Aufnahme zeigt Karl Valentin, wie er diese beiden selbst gefertigten Stücke in Händen hält. Er hat auch Griffelkästchen und anderes für die Bevölkerung gemacht, erzählt die Urenkelin. Unten in der Schreinerwerkstatt, die neben dem Wohnhaus steht.
„Ich hätte ihn sehr gern kennengelernt. Er war ein sehr talentierter Mann in jeglicher Hinsicht.“ Er musizierte, spielte Theater und war handwerklich begabt. „Und er war einer der ersten Filmpioniere.“ Es sind 29 Filme von und mit ihm erhalten sowie zwölf Fragmente. Auch verschollene Filme soll es geben.
Legendär sind seine Bühnenauftritte mit Liesl Karlstadt. Im Frankfurter Hof in der Schillerstraße in München lernte Karl Valentin sie 1911 kennen. Sie hieß damals Elisabeth Wellano und hatte ein Engagement als Soubrette. Zielsicher erkannte er ihr komisches Talent. Unter dem Künstlernamen Liesl Karlstadt trat sie als kongeniale Partnerin jahrzehntelang mit ihm auf. 1939 war die Bühnenpartnerschaft mit ihr zu Ende, nachdem sie über Monate erkrankt war.
Im selben Jahr wurde Valentins Enkelin Anneliese geboren. Sie ist Rosemarie Scheitler-Vielhubers Mutter und die letzte, die Karl Valentin noch persönlich kannte. Die Urenkelin nimmt eine Schwarz-Weiß-Fotografie von der Wand – Karl Valentin im Kreise seiner Familie, darunter seine jüngere Tochter Berta, die Großmutter von Scheitler-Vielhuber. Aus deren Erzählungen weiß sie, dass er kein einfacher Mensch und ein Hypochonder war. Seine Asthmaanfälle seien lange nicht so schlimm gewesen wie seine Depressionen.
Seiner Enkelin war er ein sehr lieber Großvater. Er hat viel mit ihr gesungen, vor allem seine berühmten Moritaten. Anneliese Kühn hatte 2012 damit begonnen, Führungen durch das Karl-Valentin-Haus anzubieten. Nach ihrem Tod vor neun Jahren machte die Urenkelin damit weiter. Vor allem ältere Menschen kamen, um sich Anekdoten von Karl Valentin erzählen zu lassen, sein Wohnhaus zu besichtigen und in der Werkstatt die Führung bei einem Glas Karl-Valentin-Wein ausklingen zu lassen. Dort hängt an der Wand ein weiteres Zitat von ihm: „Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen“. Rosemarie Scheitler-Vielhubers Wunsch ist, dass das Werk ihres Urgroßvaters im Gedächtnis bleibt. MARION BRUCKER