Wolfratshausen – Über dem Büroschrank an der Wand hängt ein schwarz-weißes Plakat: „Eine Million DM Belohnung. Dringend gesuchte Terroristen“, steht mit großen Buchstaben darauf. Darunter die Fahndungsfotos von 20 RAF-Terroristen. Links davon eine Holzgarderobe, davor zwei Schreibtische mit grauen Kabeltelefonen. Das Büro sieht aus wie aus der Zeit gefallen. Stefan Cohrs hat es soeben fertig eingerichtet – in einem leeren Bürogebäude unserer Zeitung in Wolfratshausen. Cohrs ist seit 30 Jahren Ausstatter für die Sendung „Aktenzeichen XY… ungelöst“ bei der Produktionsfirma Securitel in Ismaning im Kreis München. In dem Büro, das er gerade nachgebaut hat, sollen am nächsten Tag Polizisten in einem Fall aus den 80er-Jahren ermitteln. Über welchen, verrät Cohrs nicht – um den Täter nicht zu warnen. Der Fall wird heute Abend im ZDF ausgestrahlt.
Genau wie der aus Hamburg, für den Cohrs im Nebenraum ein Polizeibüro aus der Gegenwart eingerichtet hat. Er geht rüber, nimmt eine rote Kaffeetasse mit dem Hamburger Landeswappen in die Hand, die auf einem der Schreibtische steht. Sie ist eine der Requisiten, die er entweder in seinem Fundus oder in dem der Bavaria Filmstudios findet, um das Lokalkolorit in den Film zu bringen.
Alle „Aktenzeichen XY… ungelöst“-Filme werden in München und Umgebung gedreht – egal ob die Fälle in Flensburg, Freiburg oder tatsächlich in der bayerischen Landeshauptstadt spielen. Und selbst wenn sich der Fall dort ereignet hat, wird nicht am Originalschauplatz gedreht. Oft sei es so, dass sich der Täter noch in unmittelbarer Umgebung aufhält. Dreharbeiten blieben ihm unter Umständen nicht verborgen. „Deshalb finden die Aufnahmen in anderen Stadtteilen statt“, erklärt Cohrs. Aber es wird getrickst – um dem Zuschauer das Gefühl zu geben, sich am Originalschauplatz zu befinden. „Wir schneiden Originalfotos von Hamburg in die Szene und fertigen Verkehrsschilder an“, erklärt der 59-jährige Fürstenfeldbrucker. So „lügen“ sie sich schon mal vom Starnberger See an die Alster. Auch über Autokennzeichen wird suggeriert, die Verbrecher befinden sich in der Stadt des Tatorts. Doch hier gibt es eine Besonderheit. Bei „Aktenzeichen XY… ungelöst“ werden nie Originalautokennzeichen verwendet. „In jedem Kennzeichen ist ein Umlaut“, sagt Cohrs. Diese Buchstaben gibt es nicht für Autokennzeichen.
Geht es jedoch darum, das Täterfahrzeug zu zeigen, ist Akribie gefragt. Hier muss Cohrs manchmal Detektivarbeit leisten, wie er sagt. Gerade bei Verbrechen, die Jahrzehnte zurückliegen und für die er einen bestimmten Typ von Auto in einer bestimmten Farbe braucht. „Wenn wir den Täter fassen wollen, ist die richtige Farbe wichtig“, sagt er. Der Zuschauer assoziiert über das Bild. Wird beispielsweise ein braunes Fahrzeug gezeigt, der Täter fuhr aber ein blaues, sinkt die Chance, ihn zu finden. Cohrs hat dafür im Laufe der Jahre viele Telefonnummern von Autohändlern gesammelt. Seit es das Internet gibt, ist diese Arbeit einfacher geworden. Wird beispielsweise eine besondere Sporttasche gezeigt, die das Opfer trug, lässt er die Tasche von der Kostümbildnerin nähen.
Schwieriger ist es, die Wohnung des Opfers auszustatten. Schließlich handelt es sich um wahre Verbrechen, die Opfer haben Angehörige, auf die er Rücksicht nehmen will. Deshalb macht er sich viele Gedanken über die Wohnungen – vom Foto an der Wand bis hin zur Einrichtung. Weil das nicht im Drehbuch steht, holt er sich viele Informationen von der Polizei und schaut sich die Originalfotos vom Tatort an. Man könne nicht in einer Wohnung eines modern eingerichteten Paares den Mord an einem Rentner drehen, erklärt er. Passt jedoch der Drehort wegen der örtlichen Vorgabe für den Fall, beispielsweise weil eine Balkontür im ersten Stock als Einstieg im Verbrechen eine Rolle spielte, wird die Inneneinrichtung angepasst. Dann tauscht er Schränke aus oder auch das Geschirr. Durchwühlen die Täter in der Szene Schränke, bringt er Schränke mit Kleidungsstücken mit – aus Rücksicht auf die Vermieter der Drehorte.
Rund 2000 Einspielfilme, in denen Verbrechen nachgestellt wurden, hat Cohrs in den vergangenen 30 Jahren ausgestattet. Und es sind immer wieder dieselben Fälle darunter: missbrauchte Kinder, Vergewaltigungen und Senioren, die wegen ein paar Euro überfallen werden. „40 Prozent der Verbrechen werden durch die Sendung aufgeklärt“, sagt Cohrs. Das motiviert ihn. Er möchte dazu beitragen, dass die Täter gefasst werden.
Er glaubt an Schicksal – auch wegen der vielen Fälle, an denen er bereits gearbeitet hat. Wäre ein Opfer rechts statt links abgebogen, hätte es den Mörder vielleicht gar nicht getroffen. Oft macht ihn seine Arbeit sehr nachdenklich. MARION BRUCKER