Gauting – Für die Familie Apostoli brach am 1. September 2019 eine Welt zusammen. Der 22-jährige Benedikt starb bei einem Autounfall auf der A 95. Er saß in einem geliehenen 600-PS-Boliden, der mit deutlich über 300 km/h auf der Autobahn in Richtung Süden bretterte und an einem Baum zerschellte. Kurz darauf kamen Gerüchte auf, dass der junge IT-Kaufmann selbst am Steuer gesessen habe, der Begriff „Todesfahrer von Gauting“ machte die Runde. Davon und von allem, was seither geschah, ist die Familie Apostoli traumatisiert.
Zumindest juristisch könnte der Fall jetzt abgeschlossen werden: Gestern wurde am Amtsgericht München der Prozess gegen Alexander K. eröffnet. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft saß er am Lenkrad des Unglücksautos – und nicht Benedikt. Das ist das Ergebnis intensiver rechtsmedizinischer Ermittlungen. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: verbotenes Fahrzeugrennen in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung. Dem Angeklagten drohen bis zu fünf Jahre Haft.
Der Einzige aus der Familie, der die Kraft aufbringt, dem Prozess zu folgen, ist Bens Bruder Raphael (28), von Beruf Polizist. „Ich hoffe, dass jetzt alles aufgeklärt wird und er seine gerechte Strafe bekommt“, sagt er. Er tritt als Nebenkläger auf.
Die Anklageschrift fasste zusammen, was nach den Ermittlungen damals passiert sein muss. Demnach mieteten sich Benedikt und der Angeklagte am 31. August in Kirchheim einen Audi R8 Spyder, Höchstgeschwindigkeit 328 km/h. Weil der Bolide Winterreifen drauf hatte, wurde ihnen dringend geraten, nicht schneller als 210 km/h zu fahren. Doch die Freunde hielten sich nicht daran. Auf den Autobahnen im Oberland testeten sie aus, was der Sportwagen hergab, beide wechselten sich als Fahrer ab. Dabei kamen über 149 Geschwindigkeitsübertretungen zustande. Gegen Mitternacht konzentrierten sie sich auf die A 95.
Um 1.58 Uhr passierte es. Der Fahrer verlor bei Oberdill die Kontrolle. Das Fahrzeug kollidierte mit der Mittelplanke, schoss quer über die Fahrbahn und prallte mit der Beifahrerseite gegen den Baum. Benedikt wurde aus dem Fahrzeug geschleudert und starb noch an der Unfallstelle. Der Crash war so heftig, dass ein junger Iraker, der Erste Hilfe leistete, an einen Bombeneinschlag dachte. So erzählte er es jedenfalls im Zeugenstand.
Der 26-jährige Student Alexander K. verlas zu Prozessbeginn eine Stellungnahme, bis ihm die Stimme versagte. Dann übernahm sein Anwalt. Schenkt man dieser Erklärung Glauben, waren er und Ben beste Freunde. „Dass er jetzt tot ist, hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich bin nach wie vor in Behandlung.“ Daran, wer von beiden bei der Unglücksfahrt am Steuer gesessen habe, könne er sich nicht erinnern. Zur Beerdigung habe er einen Kranz und eine Beileidskarte geschickt. „Bis heute habe ich mich nicht getraut, Kontakt zur Familie aufzunehmen.“ Außerdem wehrte er sich gegen den Vorwurf, sehr bald nach dem Unfall Ben als Fahrer benannt zu haben. „Ich stand unter Medikamenten und war gar nicht in der Lage, taktischen Aussagen zu machen.“
Raphael Apostoli, der als erster Zeuge gehört wurde, stellte dem Angeklagten kein gutes Zeugnis aus. „Er war der Dominante in der Freundschaft, auch wegen des vielen Geldes, das er hatte“, sagte er. Ihm sei aufgefallen, dass K. eine gefährliche Neigung zum Hochgeschwindigkeitsfahrern und zum Driften hatte. „Ben hat sogar einmal einen Punkt in Flensburg für ihn übernommen“, erzählte er. Benedikt sei ein besonnener Autofahrer gewesen. An eine Beileidskarte des Angeklagten konnte er sich nicht erinnern. „Das sind Lügen.“
An den 1. September 2019 kann sich Raphael noch genau erinnern. Frühmorgens schaute er auf sein Handy und las einen Zeitungsartikel über einen tödlichen Unfall auf der A 95, mit einem Audi, wie ihn sich Benedikt ausleihen wollte. Da kam ihm ein schrecklicher Verdacht. Nachdem er Ben nicht erreichen konnte, rief er bei der Polizei an, wo man ihm sagte: „Wir sind auf dem Weg zu dir.“ Den Eltern, die sich gerade in Italien aufhielten, musste er die schlimme Nachricht überbringen. „Sie sind daran zerbrochen“, sagt er.