Berlin/Fürstenfeldbruck – An dem Tag, an dem in Berlin Innenminister und Vertreter der Kommunalen Spitzenverbände zum Flüchtlingsgipfel zusammenkommen, landet auf dem Schreibtisch von Thomas Karmasin ein Brief der Gemeinde Maisach. Der CSU-Politiker ist nicht nur Präsident des Bayerischen Landkreistags, sondern auch Landrat in Fürstenfeldbruck. Er weiß aus erster Hand, wie schwer sich die Kommunen mittlerweile tun, weitere Unterkünfte zu finden. Maisach kündigt ihm an diesem Tag an, keine weiteren Menschen aufzunehmen. Es sei nicht mehr leistbar, schreibt der Bürgermeister. Es fehlen nicht nur Räume, sondern auch Köpfe und Hände für die Integration.
Fast zeitgleich diskutiert in Berlin Bundesinnenministerin Nancy Faseser (SPD) über Möglichkeiten, die Kommunen zu entlasten. Sie spricht von einem großen Kraftakt, der nur gemeinsam geschultert werden könne. Sagt Sätze wie „Wir stehen Seite an Seite.“ Die Beschlüsse, die am frühen Nachmittag bekannt werden, sind nicht das, worauf Landräte und Bürgermeister gehofft hatten.
Bund, Länder und Kommunen wollen bei der Flüchtlingsunterbringung künftig stärker zusammenarbeiten. Ein gemeinsames Gremium soll bis Ostern erste Ergebnisse zu weiteren Unterbringungsmöglichkeiten vorlegen. Faeser verspricht pragmatische Lösungen, rund 70 000 Plätze. Mietzinsfrei, mögliche Sanierungskosten will der Bund schultern. Auch verstärkte Maßnahmen an bundesdeutschen Grenzen kündigt sie an und sagt zu, sich auch europaweit für eine bessere Verteilung von Geflüchteten einzusetzen. Mehr Geld als die im Haushalt 2023 vorgesehenen 2,75 Milliarden Euro soll es aber vorerst nicht geben.
Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistags, kritisiert das schon wenige Minuten nach dem Gipfel. „Wir brauchen in Deutschland jetzt dringend Entlastung für die, die kommunale Verantwortung tragen“, betont er. Kurz darauf wählt er sich in eine Videokonferenz mit den Landkreistagspräsidenten der Bundesländer ein. Auch Thomas Karmasin ist dabei. „Es dauert alles viel zu lange“, sagt der Fürstenfeldbrucker danach ernüchtert. Der Gipfel habe weder kurzfristig Hilfe bei der Unterbringung gebracht, noch konkrete Zusagen, wie es weitergehen soll. „Auch Lösungsansätze für eine bessere Verteilung der Flüchtlinge fehlen.“ Er glaubt nicht, dass in Berlin hinreichend angekommen ist, wie groß die Not in den Kommunen mittlerweile ist.
In einigen Bundesländern ist sie größer als in anderen. In Bayern sind aktuell 93 Prozent der Unterkünfte voll belegt, in Hessen oder Sachsen nicht einmal die Hälfte. Das liegt auch an der Fluchtroute über Italien, erklärt Karmasin. Die Hilfsbereitschaft vor Ort sei noch immer groß, aber die Kapazitäten erschöpft. „Es ist menschenunwürdig, die Flüchtlinge über Monate in Hallen oder Zelten unterzubringen“, betont er. Karmasin macht sich Sorgen, dass die Stimmung in der Bevölkerung irgendwann kippt. An Tagen, an denen ihn Briefe wie der aus Maisach erreichen, ganz besonders. „Ich nehme das sehr ernst“, sagt er. „Aber als Landrat kann ich keine Rücksicht darauf nehmen. Wo noch Unterbringungsmöglichkeiten sind, werden weiterhin Flüchtlinge ankommen.“ In Maisach war zuletzt eine Erstaufnahme-Einrichtung für Ukrainer geschaffen worden, dort leben aktuell 94 Menschen. Zusätzlich steht ein Zelt mit Betten für 90 Flüchtlinge bereit.
Karmasin hätte sich aus Berlin eine Perspektive gewünscht. Eine Ansage, wie viele Menschen in Deutschland noch aufgenommen werden können. Und klare Zusagen bei der Finanzierung der Integration. „Aber dafür“, betont er, „hätte der Kanzler zu dem Gipfel kommen müssen. Die Bundesinnenministerin kann zu den Finanzen nichts sagen.“ Schon im Vorfeld hatten die Kommunalen Spitzenverbände kritisiert, dass Olaf Scholz einen zu vollen Terminkalender für den Asylgipfel habe. Gestern Vormittag besuchte er eine Bäckerei in Hannover, um über die gestiegenen Energiepreise zu diskutieren.