Bad Wiessee – Anton Bammer hätte es schön ruhig haben können. In Lenggries, wo er wohnt, gibt es nicht viele große Bauvorhaben. Doch im Jahr 2020 wechselte Bammer als Leiter des Bauamts nach Bad Wiessee. Es hat ihn ein bisschen genervt, dass er in seinem Dorf ständig nach den neuesten Bauvorhaben gelöchert wurde, verrät er. In Bad Wiessee ist er eher unbekannt. „Aber da rührt sich was“, sagt er. Und in der Tat: Jetzt hat er sehr viel zu tun.
Bad Wiessee, 5000 Einwohner, mit 650 000 Übernachtungen im Jahr der größte Touristen-Ort am Tegernsee, entsteht gerade neu. Man will weg vom alten Kurort-Image, zielt auf ein Wellness-Publikum, das nicht auf Kassenleistungen angewiesen ist. Den Trend gibt es auch anderswo. Bad Tölz oder Bad Kohlgrub – auch diese Orte sind in einer Art Findungsphase. In Bad Wiessee kommt hinzu: Man will die Vorrangstellung am Tegernsee behalten – und die Nachbarn schlafen nicht.
Neun große Bauvorhaben gibt es in Bad Wiessee. Einstige Aushängeschilder des Kurortes sind verschwunden und haben Narben in den Ort geschlagen. Wo einst die Spielbank stand, ist schon lange ein Parkplatz. Das ehrwürdige Hotel Lederer, in den 1930er-Jahren als Hotel Hanselmann deutschlandweit bekannt, weil dort der SA-Führer Röhm verhaftet wurde: abgerissen. Das Hotel Ritter in der Ortsmitte: weg damit.
Jetzt sollen die Lücken gefüllt werden. Anton Bammer, der Leiter des Bauamts, breitet in seinem Büro einen Plan aus. Darauf sind die Baustellen eingezeichnet. Um mit der guten Nachricht zu beginnen: Bei Punkt 9 ist die Gemeinde schon sehr weit. Kindergarten und Krippe sind in Bau, kürzlich war Richtfest. Gleich muss er zur „Hebauf“, wie Bammer sagt. Der Bürgermeister holt ihn ab.
Im Ort schlendert man an vielen brachliegenden Grundstücken vorbei. Bagger hämmern mit Meißeln an alten Betonfundamenten herum. Abgebrochen wird derzeit viel im Ort.
Im Büro legt Anton Bammer den großen Bauplan für Bad Wiessee dar. Es geht um vorhabensbezogene Bebauungspläne, um Geschossflächen und Quadratmeterzahlen, aber auch um abgesprungene Investoren und hochtrabende Pläne, die sich zerschlagen haben. Der Albtraum, der Bammer verfolgt, hat einen Namen: SME. Das Kürzel steht für Sport Medicine Excellence Group. Aber exzellent ist nur das Desaster, das die Investorengruppe – mehrere Schweizer Ärzte – hinterlassen hat. Dort, wo einst das Jodschwefelbad stand, sollte ein Medizinpark mit Hotel entstehen. Dafür kaufte die SME der Gemeinde sogar die benachbarte Wandelhalle ab, einst Aushängeschild und Zentrum des Kurorts. „Die Gemeinde hat leider verkauft“, sagt Bammer. Die Halle steht unter Denkmalschutz – nur das bewahrte sie vor dem Abriss.
Benno Bauer, 73, ist Kreisheimatpfleger von Miesbach. Er stapft durch den Schnee die kleine Anhöhe hinauf zur Wandelhalle, schlupft durch den Gitter-Bauzaun und schaut durch die staubigen Fenster in die Wandelhalle. Sie ist leer. Sogar die Bodenplatten hat der Investor rausgerissen, sie liegen nummeriert und mit Planen abgedeckt in mehreren Stapeln vor der Halle. „Die haben sich schon Mühe gegeben“, brummt Bauer. Er ist schon froh, dass die Halle notdürftig gegen den Verfall gesichert wurde. Dann sieht er sich auf dem Gelände um. Das Grundstück nebenan, wo einst das Jodschwefelbad stand, ist eine einzige öde Kiesfläche. Die SME hatte ja, sagt Bauer, ein stimmiges Konzept. Der Architekt war renommiert, die Pläne schon genehmigt. Es wäre „eine Bereicherung“ geworden, sagt Bauer. Doch dann ging wohl das Geld aus. Und statt zu bauen, streiten sich die einstigen Investoren und die Gemeinde nun vor Gericht.
Jetzt ist die Brache mit einem hohen Bauzaun aus Sperrholzplatten abgeriegelt.
Zurück im Bauamt. Hat sich Bad Wiessee gierigen Heuschrecken ausgeliefert? Das bestreitet Bauamtsleiter Bammer. „Die Gemeinde darf nicht zum Spielball der Investoren werden“, sagt er. Der Fall SME sei hoffentlich eine Ausnahme. Große Hoffnungen gibt es im Ort, dass die Brüder Andreas und Thomas Strüngmann ihre Pläne in die Tat umsetzen und das „Seegut Tegernsee“ wirklich bauen. „Da rührt sich was“, sagt Bammer. Die Strüngmanns, Gründer des Pharmaunternehmens Hexal, sind Milliardäre und waren auch am Corona-Impfstoff-Hersteller Biontech beteiligt. Es ist schon etliche Jahre her, da kauften sie das Grundstück der alten Spielbank. Dieses Grundstück allein war aber zu klein für die großen Hotelpläne der Brüder, deshalb erwarben sie nach einem zähen Kampf mit dem Eigentümer auch noch das benachbarte alte Hotel Lederer. Auf den vereinigten Grundstücken wäre nun Platz für die Hotelanlage „Seegut“ – gut zwei Dutzend Gebäude mit See-Suiten für betuchte Badegäste. Ein guter Plan. Bauen die Strüngmanns das jetzt auch? Bammes ist optimistisch, es stehen ja schon Bagger auf dem Gelände. Diese müssen aber erst den Untergrund, der aus matschigem Seeton besteht, abtragen und gegen eine Kiesschicht austauschen, ehe der eigentliche Bau beginnen kann. Immerhin: Am Bauzaun prangt ein Schild „Vorankündigung – Baubeginn Areal ehemalige Spielbank“.
Es gibt weitere Pläne für Wiessee. Ein neues Hotel, in dessen Konzept der Schauspieler Til Schweiger eingebunden ist. Und eine neue Ortsmitte – Wohnungen, Supermarkt, Gaststätten, Ärzte. Und dann ist da noch das Areal rund um das neue Jodschwefelbad. Bagger reißen gerade die Fundamente des alten Hallenbads weg. „Jetzt gibt es im Tegernseer Tal kein Schwimmbad mehr“, bedauert Bauamtsleiter Bammer. Vager Plan: Vielleicht einigen sich die Gemeinden auf eine neue gemeinsam betriebene Schwimmhalle. Einstweilen steht das neu erbaute Jodschwefelbad etwas einsam auf einer weiten Fläche. Es ist preiswürdige Spitzenarchitektur. Neuerdings behandeln sie dort auch Fälle von Long Covid, sagen sie im Bad.
Kreisheimatpfleger Bauer ist im Hauptberuf Architekt und recht forsch in seinen Urteilen. Zum Beispiel sagt er: „Tölz ist ja auch verkommen“ – weil da nach dem Abriss des alten Alpamare-Bades nichts vorangeht. Er steht jetzt unweit des Strüngmann-Areals. Der Wind pfeift, mürrisch sieht sich Bauer um. Ein Pizza-Lieferdienst und ein Sonnenstudio in der altehrwürdigen Adrian-Stoop-Straße, benannt nach dem Entdecker der Quellen „Königin Wilhelmina“ und „Adrianus“, das missfällt ihm. Dann zeigt er in die Ferne auf ein neues Mehrfamilienhaus. Hässlich, sagt er. Die Fenster mit Rollläden statt traditioneller Läden, die Balkone hingeklatscht. Das Problem sei, bei Neubauten „ein gewisses Niveau“ zu halten.
„Wenn was abgerissen wird“, sagt der Architekt, „kommt in den seltensten Fällen was Besseres nach.“