Kipfenberg – Eine kleine Gemeinde im Altmühltal: Noch vor Kurzem wäre Kipfenberg vielleicht eine Erwähnung wert gewesen, weil hier der geografische Mittelpunkt Bayerns liegt. Das ist aber nicht der Grund, warum das Dorf im Landkreis Eichstätt derzeit deutschlandweit im Fokus steht. Seit hier die sterblichen Überreste von Sonja Engelbrecht gefunden wurden, ist nichts mehr so, wie es einmal war. Denn: Die Polizei geht davon aus, dass der Mörder einen Bezug zur Region hatte. Das wurde Mittwoch in der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY… ungelöst“ erneut betont. Nun fragen sich viele: Wer hat die Leiche der Münchnerin 1995 im Wald verschwinden lassen?
Vor Ort zeigt sich: Da niemand so richtig etwas weiß, wird umso mehr geredet. „Die Gerüchteküche brodelt“, sagt Rainer Stocker, der seit 50 Jahren in der Dorfapotheke arbeitet. Es gebe viele Spekulationen. Sogar Namen machen die Runde. So wie jetzt, erklärt der 76-Jährige, habe er die Gemeinde noch nie erlebt.
Eine Bestandsaufnahme, die am Donnerstag viele bestätigen. „Mich sprechen ständig Kunden auf den Mordfall an“, sagt Kimberly Armstrong, die in einer Dorfbäckerei arbeitet. In einer der Tankstellen heißt es: „Jeder redet darüber. Der Mord ist überall Thema.“ Vor allem im privaten Umfeld, meint Karin Jaaks, die im Zeitungsladen arbeitet. Für die 65-Jährige sind die Geschehnisse beklemmend. Weil man eben keine Ahnung hat, was vor 28 Jahren passiert ist.
Am 11. April 1995 verschwand die 19-jährige Sonja Engelbrecht nach einem Kneipenabend in München. Über Jahrzehnte gab es keine Spur von ihr. Und es wäre wohl auch niemand auf die Idee gekommen, in einem abgelegenen Waldstück bei Kipfenberg nach ihr zu suchen. Doch genau dort wurden im März 2022 ihre sterblichen Überreste in einer Felsspalte gefunden. Eingeschnürt in ein Paket aus Folien.
Wie Werner Kraus, Sprecher des Präsidiums München, erklärt, haben glückliche Umstände zum Fund geführt: Tiere dürften irgendwann den Leichnam gewittert haben. So erklären sich die Ermittler, dass ein Oberschenkelknochen auftauchte. Ein Waldarbeiter hatte ihn 2020 gefunden. Im November 2021 war nach DNA-Analysen klar, dass der Knochen tatsächlich der Vermissten zugeordnet werden kann. So gab es nach 26 Jahren traurige Gewissheit, dass Sonja Engelbrecht tot ist.
An die Nachricht aus Kipfenberg kann sich Hans-Jürgen Lindinger noch sehr gut erinnern. Er ist Dienstgruppenleiter in der zuständigen Polizeiinspektion Beilngries. Für ihn war klar, dass bei den weiteren Ermittlungen auch seine Wache eingebunden sein wird. „Das Thema ist bei uns präsent“, der Kontakt zur Mordkommission in München ist entsprechend eng. Zum Beispiel, wenn es um Ermittlungsanfragen geht.
So wie im Spätsommer 2022: Damals mussten 50 Männer zum DNA-Test. An Sonja Engelbrechts sterblichen Überresten konnten die Ermittler nämlich auch DNA-Spuren sichern. Der Massentest brachte, wie es jetzt aus dem Polizeipräsidium heißt, keinen Treffer. Eine Nachricht, die in Kipfenberg sofort die Runde gemacht hat, erzählt Apotheker Stocker. Einige Namen könnten jetzt wohl von der Verdächtigen-Liste gestrichen werden.
Laut der Ermittler wurden an den Folien, in die der Leichnam verschnürt war, Farbreste gefunden. Deshalb fragen sie, wer 1994 oder 1995 in Kipfenberg renoviert hat. „Das waren viele“, sagt der Besitzer eines Traditionsbetriebs – der lieber anonym bleiben möchte. Anfang der 1990er habe eine Klinik im Ort ihren Betrieb aufgenommen. „Es gab viel Zuzug.“ Zugleich wurden Gebäude im Zentrum saniert. Wie passt das alles damit zusammen, dass eine junge Frau in München verschwand? Warum Kipfenberg? Die Fragen stellen sich im Dorf alle. Nur: Antworten gibt es keine.