Zweifel an der Kinder-Beichte

von Redaktion

VON CLAUDIA MÖLLERS UND KATHRIN ZEILMANN

München – In den Wochen nach Ostern ist es in vielen katholischen Pfarrgemeinden so weit: Katholische Drittklässler gehen zur Erstkommunion. Bevor sie aber das erste Mal die Heilige Kommunion empfangen dürfen, müssen sie nach den Regeln der Kirche zur Beichte. „Nach vorheriger sakramentaler Beichte, folgt die Erstkommunion“, heißt es im Kirchenrecht.

Doch diese jahrhundertealte Tradition steht auf dem Prüfstand – nicht zuletzt, weil die von der Kirche in Auftrag gegebene MHG-Studie 2018 gezeigt hat, dass auch der Beichtstuhl Tatort für Missbrauch gewesen ist. Die Beichte wurde auch genutzt, um die Straftaten zu planen und vorzubereiten. „Kinder wurden ausgefragt und als potenzielle Opfer ausgespäht“, wie der Psychiater Harald Dreßing sagt. Er ist Leiter des Bereichs Forensische Psychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Er hat die MHG-Studie geleitet.

Viele Menschen hätten später beispielsweise von unpassenden Fragen durch die Priester bei der Beichte berichtet. „Die Situation wurde perfide ausgenutzt. Das war eine toxische Mischung.“ Beim sexuellen Missbrauch gehe es um Macht – und das potenziere sich im Beichtstuhl, wo der Beichtvater die Macht habe, von Sünden loszusprechen. „Das ist eine hochgradig ängstigende Situation.“ Zudem betonte der Psychiater, er habe grundsätzlich Bedenken, ob Kinder unter 14 überhaupt beichten sollten. Aus entwicklungspsychologischer Sicht sei die Kinderbeichte kein geeignetes Format. Kinder könnten im Alter der Erstkommunion die Themen Schuld und Sünde noch gar nicht erfassen. Das setze erst mit etwa 14 Jahren ein. So werde die Beichte entweder zum inhaltslosen Ritual – oder schüre Ängste.

„Die Beichte ist kein Folterinstrument“, betont Pater Martin Stark, Kirchenrektor von St. Michael in München. Es gehe nicht darum, Schuld ans Tageslicht zu befördern, zu kontrollieren oder Kinder zu erziehen. „Die Beichte ist ein Sakrament der Versöhnung.“ Es solle die Menschen nicht klein machen – „im Gegenteil, sie sollen befreit werden, zur Heilung und zur Versöhnung finden dadurch, dass ihnen Gottes Versöhnung zugesprochen wird“.

Beichte dürfe nicht mit Zwang verbunden sein, macht der Jesuit klar. „Ich finde das auch schrecklich, wenn Kinder zu etwas gezwungen werden, was sie von sich aus nicht machen wollen.“ Etwa, wenn Eltern wollten, dass ihre Kinder ministrieren. In St. Michael gebe es Ministrantinnen und Ministranten, die noch nicht einmal zur Kommunion gegangen sind. „Die machen das, weil sie Spaß daran haben und gerne kommen. Nicht weil ihre Eltern sie zwingen.“ Pater Stark befürwortet ein Hineinwachsen in den Glauben. Dann sei auch Kindern möglich, Versöhnen und Vergebung zu erfassen.

Das Wissen um die Missbrauchsfälle hat aber auch in seinem Verständnis durchaus Folgen für die Beichte. Man müsse darauf achten, dass man keine Abhängigkeitssituationen in geistlichen Beziehungen schaffe – das gelte bei Kindern umso mehr. Der Jesuit schlägt vor, Räume zu schaffen, die hell, öffentlich und einsehbar sind. Man müsse auf jeden Fall Situationen meiden, wo man mit Minderjährigen allein ist. Diese Rahmenbedingungen müsse man in der Seelsorge heute beachten.

Erstkommunion-Konzepte, die vom Erzbistum München und Freising erarbeitet worden sind, setzen den Akzent auf Versöhnung, sagt Helmut Heiss, Leiter des Fachbereichs Sakramentenpastoral. Es sei sehr strittig, „inwieweit acht- oder neunjährige Kinder zu schweren Sünden fähig sind“, räumt er ein. Aber Versöhnung müsse geübt und gelernt werden – etwa in der Familie.

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