„Wir werden einmal das All besiedeln“

von Redaktion

INTERVIEW Augsburger Firma will die erste kommerzielle deutsche Rakete in den Weltraum schicken

Der Garchinger Jörn Spurmann (40) ist Finanzchef und Mitgründer der Rocket Factory Augsburg AG. Seine Vision – und die der 200 Mitarbeiter aus 40 Nationen der Raketenfabrik: In den nächsten Monaten die erste kommerzielle deutsche Rakete ins All zu schicken. Und dann bald regelmäßig – randvoll mit Satelliten-Hightech.

Herr Spurmann, wie wird man denn Raketenbauer oder Weltraum-Manager?

Aus ganz viel Leidenschaft (lacht). Ich war von Kind an ein Sternengucker, seit mir meine Eltern – sie sind beide Ingenieure – ein Teleskop geschenkt haben. Die Faszination fürs All liegt bei uns in der Familie. Später habe ich mein Maschinenbaustudium mit dem Schwerpunkt Raumfahrttechnologie absolviert. Mit etwas Glück bin ich dann wirklich in der Raumfahrtindustrie gelandet und darf heute jeden Tag den Bau unserer eigenen Trägerrakete RFA ONE vorantreiben.

Und wieso ausgerechnet der Standort Augsburg?

Das liegt an unserer Firmenphilosophie. Wir machen hier Integrationsproduktion. Das heißt, wir nutzen fertige Teile, meist aus der Autoindustrie, für die Raketentechnik. Audi, BMW, Mercedes sowie deren ganze Zulieferbetriebe, die sind alle im Umkreis von etwa 200 Kilometern um Augsburg angesiedelt. Das ist einmalig auf der ganzen Welt!

Micro-Launcher heißt der neue Trend in der Raumfahrt. Kleine, kostengünstige Träger-systeme machen die Reise erschwinglicher.

Was ja nicht heißt, dass die Qualität leidet. Das ist der Vorteil der Privatwirtschaft: Geschwindigkeit und Kostenoptimierung. Für den Flugcomputer haben unsere IT-Spezialisten von den frei verfügbaren Algorithmen des Space Shuttles gelernt und darauf basierend den Code für unsere RFA ONE programmiert. Unsere Treibstofftanks aus Edelstahl hat uns eine Firma, die sonst Brauereien beliefert, angefertigt. Wir verwenden tausende bewährter Teile. Zum Beispiel Stecker, die sonst in Autos Airbags auslösen. Auch Teile aus U-Booten. Man kann das alles auch extra entwickeln lassen – dann aber für Stückkosten von 10 000 Euro statt 500 Euro. Manche Bauteile stellen wir selbst aus einem bestimmten Metallpulver im 3D-Drucker her. Eine Revolution! Für die Serienproduktion kaufen wir dann einfach mehr 3D-Drucker.

Was kostet es insgesamt, so eine Rakete zu basteln?

Für die Entwicklung eines Micro-Launchers geht man in der Industrie von einem Investitionsrahmen von etwa 100 Millionen Euro aus. Wir haben erst etwa 40 Prozent davon benötigt, um so weit zu kommen. Aber es kommt ja am Schluss noch ein dicker Batzen: der Start selbst. Wir planen ihn für Ende des Jahres. Unser Helix-Triebwerk hatte Mitte 2022 die ersten Langzeittests in Flug-Konfiguration: insgesamt 74 Sekunden. Vor dem Start muss das natürlich noch mal über die gesamte Flugdauer erfolgen. Die Hardware für die Qualifikation der Systeme und den tatsächlichen Flug sowie die dafür benötigte Infrastruktur wie beispielsweise die Startplattform machen einen Großteil der Kosten aus.

So ein Start hat einen ordentlichen Bumms…

Pro Triebwerk eine halbe Million PS – und wir haben zehn davon an der Rakete, neun an der ersten Stufe und eins an der zweiten. Durch sie wirken beim Start 2G, die doppelte Erdanziehungskraft.

Es bleibt also immer ein Restrisiko?

Natürlich! Ins All zu fliegen, ist immer noch eine der größten technischen Herausforderung der Menschheit. Es wirken unglaubliche Kräfte, jedes Bauteil muss für sich, aber auch in Kombination mit anderen Systemen funktionieren. Und es gibt nur einen Versuch pro Start.

Wie viel wird ein Start, ein Träger einmal kosten?

In der Raumfahrt wird mit Preis pro Kilogramm gerechnet und verglichen. Unser Kundenendpreis wird bei rund 5000 Euro pro Kilo liegen. Die ganze Rakete mit ihren 1,3 Tonnen Frachtkapazität verkaufen wir also für rund fünf Millionen Euro. Damit haben wir die Kosten zur Konkurrenz übrigens mehr als halbiert.

Wer sind Ihre Kunden?

Satellitenhersteller, Kommunikationsfirmen, wissenschaftliche Institute, die Daten sammeln. Alle wollen ins All. Mit uns können sie es. Wir demokratisieren den Zugang zum Weltraum. Wir reden von einem riesigen Marktvolumen mit unzähligen Anwendungsfeldern: vom autonomen Fahren übers globale Internet und KI, E-Mobility, Laserkommunikation, Satellitenbilder für Versicherungen und Wetterdienste, Katastrophen-, Wasser- und Dünger-Management, Ozean-Monitoring, Überwachung von Umweltverschmutzung und Ernteüberwachung.

Wollen Sie selbst ins All?

Unbedingt (lacht)! Das habe ich fest vor. Das ist längst keine Zukunftsmusik mehr. Einer unserer Kunden möchte schon jetzt Internet auf dem Mond aufbauen. All das wird bald kommen. Ich bin überzeugt davon, dass wir uns auf dem Weg zur interplanetaren Spezies befinden. Es geht auch nicht anders. Denn auf der Erde gehen uns irgendwann die Ressourcen aus.

Interview: Oliver Menner

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