München – Drang das Kosten- und Zeitdesaster bei der 2. Stammstrecke auch bis zur Konzernspitze der Deutschen Bahn durch? Das versuchten Abgeordnete im Untersuchungsausschuss durch Vernehmung von DB-Chef Richard Lutz zu ergründen.
Bekanntlich war die bayerische Staatsregierung intern schon seit 2020 höchst alarmiert, weil das Projekt aus dem Ruder zu laufen drohte. Doch Lutz versicherte mehrmals, der Ernst der Lage sei ihm erst durch ein Schreiben von Ministerpräsident Markus Söder im März 2022 bewusst geworden. Danach dauerte es immer noch sechs Monate, ehe die Deutsche Bahn genauere Zahlen öffentlich preisgab: Das Projekt kostet demnach – Preisstand allerdings 2021 – sieben Milliarden Euro und wird erst 2035 fertig.
Alle internen Schätzungen zuvor seien nicht präzise genug gewesen, sagte Lutz. Seine Lieblingsvokabeln waren dabei, die Zahlen hätten nicht den notwendigen „Reifegrad“ und „Härtegrad“ gehabt.
Nun wird der DB-Vorstand in Berlin durch regelmäßige Quartalsberichte über alle großen Bauprojekte auf dem Laufenden gehalten – und die 2. Stammstrecke zählt immerhin, wie Lutz sagte, zu den „Top Ten“ im Bauprogramm der Bahn. Trotzdem gab es Lutz zufolge bis 2022 in diesen Berichten keine ernst zu nehmenden Hinweise auf die Probleme. Er habe keinen Anlass gesehen, „misstrauisch und bösgläubig“ das Projekt zu hinterfragen. Unterhalb der Vorstandsebene freilich gab es dieses Misstrauen schon, wie der Ausschussvorsitzende Bernhard Pohl (FW) deutlich machte. Er konfrontierte Lutz mit einem Aufeinandertreffen zwischen dem damaligen DB-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla und der damaligen bayerischen Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU), bei dem – so Pohl – „die Fetzen geflogen“ sind. Die beiden stritten bei einem Aufeinandertreffen während eines Termins in Nürnberg im Oktober 2020 auf offener Bühne. Hinterher schrieb Schreyer an Pofalla, die Haltung der DB zur Stammstrecke sei „auf Seiten des Freistaats mit Bestürzung aufgenommen“ worden.
Doch auch dies drang nicht zu Lutz durch. Dieser nahm Pofalla im Ausschuss sogar in Schutz, die Bahn habe eben nur ungesicherte Informationen über mögliche Verzögerungen beim Bau gehabt – das müsse er nicht an die Konzernspitze herantragen. Ebenso wenig seien interne Vermerke des bayerischen Verkehrsministeriums bei ihm gelandet. Mal beschwerte sich Schreyer über die – so wörtlich – „Schlechtleistung“ der Bahn, mal hieß es, die DB „mauert“ bei Infos zu Kosten und Terminen.
All das hat Lutz nicht gewusst. Bis dann der Brief Söders eintrudelte – das hatte dann schon die „oberste Kategorie“, wie Lutz sagte. Schreiben von Ministerpräsidenten werden „nicht abgeheftet und abgelegt“, versicherte er. Aber Söder hatte eben auch erst 2022 interveniert, nicht schon vorher. Dabei war er schon 2020 über Schieflagen beim Projekt sowohl durch die eigene Staatskanzlei als auch durchs Verkehrsministerium informiert worden. Seine Vernehmung steht noch aus. DIRK WALTER