KOLUMNE

VON SUSANNE BREIT-KESSLER Schutz für die Kleinsten

von Redaktion

Abgeordnete des Bayerischen Landtages haben einen Gesetzesentwurf eingebracht, der aufhorchen und aufatmen lässt. Bislang ist es auf Grund der Schweigepflicht unzulässig oder sogar mit Strafe bedroht, wenn Ärzte sich über den Fall eines Kindes oder Jugendlichen austauschen, bei dem vermutet wird, dass sein körperliches und seelisches Wohl gefährdet ist. Das Gesetz verlangt von den Medizinern vielmehr, dass sie mit den jungen Patienten sowie mit Erziehungsberechtigten die Lage besprechen und auf Hilfsmöglichkeiten hinweisen. Haben Ärztinnen „gewichtige“ Anhaltspunkte für Misshandlung, Vernachlässigung oder sexuellen Missbrauch, müssen sie das dem Jugendamt mitteilen.

Aber all diese Regelungen reichen leider nicht aus. Zum einen wird die Qual oft genug von denen verursacht, die mit zum Arzt oder zur Ärztin kommen. Was soll ein fürsorgliches Gespräch mit Leuten bringen, die keine Scheu haben, Kinder zu peinigen? Was werden Jugendliche sagen, deren prügelnde oder missbrauchende Eltern neben ihnen sitzen? Zum anderen muss der Verdacht so massiv sein, dass die Beteiligung staatlicher Stellen oder eine Information des Jugendamtes legitim erscheint. Was tun, wenn Arzt und Ärztin Zweifel plagen? Niemand will durch Unterstellungen eine Familie zerstören.

Genauso arg ist es, einfach zu schweigen. Leben hängt davon ab, was getan wird, wenn man tiefe Not erkennt. Die interfraktionelle Gesetzesvorlage will es Medizinern künftig gesetzlich ermöglichen, sich mit Kollegen vertraulich über das auszutauschen, was ihnen anvertraut oder bekannt geworden ist. So können sie gemeinsam besser nötige Entscheidungen zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen treffen. Uns andere spricht das von Verantwortung nicht frei.

Regelmäßig beunruhigte mich in einer früheren Wohnung das herzzerreißende Geschrei eines kleinen Mädchens im Haus. Ich klingelte und bot der Familie Hilfe an. Eine Nachbarin und ich empfahlen uns als Babysitter und Entlastung für die Eltern. Stets wurde die Tür vor meiner, unserer Nase zugeschlagen. Besorgt ging ich zum Jugendamt. Ich wurde hochnotpeinlich befragt. Solange, dass ich mich beinahe schämte für eine mögliche üble Nachrede. Die Familie verschwand aus dem Haus. Ich wurde schriftlich ins Jugendamt bestellt. Die Mitarbeiterin sagte einzig diese Sätze: „Ich kann Ihnen aus Gründen der Schweigepflicht nichts mitteilen. Bloß das: Manchmal hat ein Kind nur einen Menschen, der sich kümmert und es rettet.“ Gut, wenn Ärzte und Ärztinnen jetzt noch mehr rechtliche Möglichkeiten bekommen, auf der Seite der Kleinsten und der Heranwachsenden zu stehen. Sie brauchen jeden von uns.

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