Mythen und Fiktionen über Ludwig Thoma

von Redaktion

BAYERN & SEINE GESCHICHTEN Historiker Franz-Josef Rigo stellt zum Bayern-Dichter einiges richtig

VON DIRK WALTER

Miesbach – Mythen, Legenden, Fälschungen – die Literatur zu Ludwig Thoma füllt ganze Regalbretter. Dabei haben sich allerdings zahlreiche Fehler eingeschlichen. Vor allem gilt das für die letzte Lebensphase des bayerischen Starautors, als er – freilich anonym – zahlreiche, teils bösartig antisemitische Artikel im „Miesbacher Anzeiger“ veröffentlichte. Der erste Artikel stammt, wie der Historiker Wilhelm Volkert schon 1990 akribisch recherchierte, vom 15. Juli 1920, der letzte vom 18. August 1921.

Der Miesbacher Historiker und Journalist Franz-Josef Rigo hat nun in einem noch unveröffentlichten Aufsatz, der 2024 in einem Sammelband bei Pustet erscheinen wird, zahlreiche Irrtümer korrigiert. Es beginnt schon damit, dass Thomas Domizil, das Haus auf der Tuften, häufig Rottach-Egern zugeschrieben wird, was die Gemeinde bis heute wohlwollend toleriert – der Dichter ist dort mit Straßennamen und Denkmal geadelt. „Die falsche Zuordnung war schon zu Thomas Lebzeiten gang und gäbe“, schreibt Rigo. Von der Frauenzeitschrift „Die Dame“ anno 1919 bis zur renommierten „Bosls Bayerische Biographie“ ist der Irrtum bis in die Gegenwart fortgeschrieben worden. Dabei gehörte der Höhenzug seit jeher zu Tegernsee, daran änderte sich auch nichts, nachdem Thoma einem Sägemühlen-Besitzer 1906 das Areal abgekauft hatte. Rigo nennt aber auch einen plausiblen Grund für die Irrtümer: In seinem Briefkopf führte Thoma selbst kontinuierlich die Adresse Rottach, und zwar, weil Briefe auf der Tuften damals nicht vom Postamt in Tegernsee, sondern von Rottach aus zugestellt wurden.

Von seinem Tegernseer Landhaus aus also wütete der Dichter ab 1920 gegen die Demokratie und die Juden. Unter Thoma-Kennern ist dabei die These Allgemeingut, der sprunghafte Anstieg der Auflage des „Miesbacher Anzeigers“ hänge mit den demagogischen Leitartikeln Thomas zusammen. „Das ist ein gravierender Trugschluss“, sagt Rigo. Zum einen war allenfalls gerüchteweise Thomas Autorschaft bekannt. Zum zweiten war der eigentliche Motor der Zeitung von 1916 bis Juli 1922 der verantwortliche Schriftleiter Klaus Eck, ein fanatischer Chauvinist. Dieser gab nicht nur Thoma, sondern auch führenden Rechtsextremen wie Hermann Esser, Gottfried Feder und Hitlers Mentor Dietrich Eckart eine Plattform und machte damit den „Anzeiger“ zur Pflichtlektüre für viele rechtsextrem Gesinnte über Miesbach hinaus.

Ein Beispiel: Am 23. Oktober 1920 erschien ein völlig überdimensionierter Vorbericht zu einer NS-Veranstaltung in der damals nur 4000 Einwohner zählenden Stadt Miesbach. In einem „Eingesandt“ durfte Hermann Esser, einer der fanatischsten Antisemiten, am 30. Oktober 1920 selbst darüber berichten. Auch nach Thomas Tod veröffentlichte Esser Artikel in der Lokalzeitung, etwa am 19. November 1921 („Die bayerische Justiz und die Viehjuden“). Thomas Artikel passten also prima in die rechtsradikale Agenda Ecks.

Eine weitere Legende ist, Thoma als NSDAP-Sympathisant zu bezeichnen. Aus dem Nachlass Thomas geht indes eindeutig hervor, dass er Anhänger der katholischen Bayerischen Volkspartei (BVP) war. So strich er gegenüber seiner Cousine Ricca Lang am 1. Juni 1920 vor der bayerischen Landtagswahl heraus: „Nächsten Sonntag führe ich meine Schar für Kahr und Weiß-blau an die Wahlurne.“ Mit Kahr meinte Thoma Gustav von Kahr, seit März 1920 bayerischer Ministerpräsident für die BVP.

Für die deutschnationale Bayerische Mittelpartei hatte Thoma nichts übrig, ihr Programm bezeichnete er als „Unsinn“. Thoma war aber kein BVP-Mitglied, wie er auch der NSDAP nicht beitrat und von den zahlreichen NSDAP-Versammlungen in dieser Zeit keine einzige besuchte. Abstrus ist daher auch die von einem Thoma-Biografen aufgestellte Behauptung, Thoma und Hitler hätten sich persönlich gekannt. Richtig ist aber, dass ihm in einem Brief vom Tegernseer NSDAP-Vorsitzenden am 14. Juli 1921 die Mitgliedschaft angetragen wurde. Thoma ließ das unbeantwortet liegen. Er hatte in jenen Tagen wichtigere Dinge im Kopf: seine Gesundheit.

Der exzessive Raucher und Kaffeetrinker hatte erstmals um die Jahreswende 1920/21 Magenbeschwerden und das bis in den Mai 1921 als „Magenkatarrh“ abgetan. Jetzt, im Juli, wurde es ernst, er musste zur Untersuchung nach München. Am 26. August 1921 war er tot – Magenkrebs.

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