Der uninformierte Bundesminister a.D.

von Redaktion

VON DIRK WALTER

München – Andreas Scheuer hat eigentlich jetzt ganz andere Dinge im Kopf. Der CSU-Bundestagsabgeordnete und Bundesminister a.D. ist jetzt Außenpolitiker; er war zuletzt bei Floridas umstrittenen Gouveneur Ron DeSantis und in Seoul. An diesem Montag holt ihn aber die Vergangenheit ein: Nicht die leidige Maut-Geschichte, vielmehr eine Bahn-Affäre. Im Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags soll er berichten, wann er vom Kostendesaster und der Zeitverzögerung bei dem Milliardenprojekt erfahren hat.

Scheuer holt aus. Als Bundesverkehrsminister, so lässt er die Abgeordneten wissen, habe man doch viele Projekte am Hals. Die S4 in Hamburg, die Fehmarnbelt-Querung, eine Eisenbahn-Verbindung nach Dänemark und ein neues Stellwerk am Ostbahnhof nennt er als Beispiele. Nur die 2. Stammstrecke, die war wohl „unter den Top 5 im Schienenpersonen-Nahverkehr“. Aber doch nicht so wichtig, dass er da in seiner Amtszeit regelmäßig informiert worden sei. „Ich war doch nicht der Bundesminister für die 2. Stammstrecke.“

Scheuer beruft sich auch auf die Vernehmung von DB-Chef Richard Lutz. Der hatte im Untersuchungsausschuss beteuert, bis 2022 nicht gewusst zu haben, dass das Projekt aus dem Ruder lief. „Wenn es der Bahnchef nicht weiß, warum soll es der Bundesverkehrsminister wissen“, fragt Scheuer die Abgeordneten im Ausschuss. Und sagt, es liege wohl „in der DNA der Bahn“, nicht immer supertransparent zu sein.

Ins Wackeln gerät Scheuers Verteidigungsstrategie allerdings, als ihn der Ausschussvorsitzende Bernhard Pohl (FW) und nach ihm auch Inge Aures (SPD) mit einem Brandbrief der ehemaligen bayerischen Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) konfrontieren. Diese hatte Anfang Oktober 2020 bei einem DB-Termin in Nürnberg einen hitzigen Wortwechsel mit DB-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla, weil das Projekt in Schieflage geriet.

Im Oktober 2020 war im bayerischen Ministerium schon von einer Inbetriebnahme der 2. Röhre im Jahr 2034 die Rede – nicht 2028, wie offiziell immer kommuniziert wurde. Die Öffentlichkeit erfuhr davon erst zwei Jahre später – im Sommer 2022. Scheuer war auch bei dem Bahntermin in Nürnberg, den Wortwechsel will er aber nicht mitbekommen haben. Wenige Tage nach dem Nürnberger Termin wandte sich Schreyer am 7. Oktober 2020 aber schriftlich an Scheuer. Wie schon in einem Telefonat mit ihm beredet, so heißt es in dem Brief, sei es wichtig, nun „sehr zeitnah“ ein Stammstrecken-Krisengespräch zu führen. Denn „ein Weiter so“ könne es bei der Stammstrecke nicht geben. Doch, so die erstaunliche Antwort Scheuers: Der Brief habe ihn nie erreicht. Etwas abschätzig sagte er: „Frau Staatsministerin Schreyer hat sehr viele Briefe geschrieben.“ Und an das Telefonat erinnert er sich auch nicht mehr. Das Krisengespräch kam dann tatsächlich nicht zustande – vielleicht aber auch, weil die Misere bei der Stammstrecke in der Bayerischen Staatskanzlei als „kein Gewinnerthema“ eingestuft wurde.

Nach Scheuer kam der jetzige Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) zur Vernehmung in den Ausschuss – der Scheuers Aussage klar widerlegte. Der Brandbrief Schreyers sei zur „Leitungsebene“ gelangt, das zeigten Recherchen in seinem Haus. Und: Es gebe die E-Mail einer Mitarbeiterin im Bundesverkehrsministerium vom 6. Oktober 2020, die auf ein Telefonat zwischen Schreyer und Scheuer zur 2. Stammstrecke just am 6. Oktober Bezug nehme. Also hätten beide doch miteinander geredet.

Wissing berichtete auch über ein Spitzengespräch im Juli 2022 mit seinem bayerischen Amtskollegen Christian Bernreiter (CSU). Bayern sei durch die steigenden Kosten bei der Stammstrecke doch sehr belastet, es fehle jetzt Geld für andere ÖPNV-Projekte, klagte Berneiter demnach. Einen Vorstoß Bernreiters, der Bund solle sich über seinen 60-Prozent-Anteil noch stärker finanziell beteiligen, habe er aber abgewehrt. Er könne da „nicht abhelfen“.

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