Rottach-Egern – Marija Genditzki ist eine positive Frau. Mit einer frechen, roten Kurzhaarfrisur und einer modischen schwarzen Lederjacke zu weißer Bluse erscheint sie zu ihrer wichtigen Vernehmung. Für ihren Mann geht es in diesem Prozess um alles. Der 62-Jährige kämpft um einen Freispruch. Zweimal war er wegen Mordes an der 87-jährigen Lieselotte Kortüm zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Nach 13 Jahren kam er frei. Seine Verteidigerin Regina Rick hatte ein Wiederaufnahme-Verfahren erwirkt – dank neuer Gutachten.
Marija Genditzki macht sich an diesem Prozesstag rar. Sonst sitzt sie stundenlang vor dem Sitzungssaal und wartet, weil sie vor ihrer Vernehmung den Prozess nicht verfolgen durfte. Vergeblich warten die Fotografen gestern darauf, ein neues Bild von ihr zu machen. Erst, als ihre Vernehmung beginnen soll, holt Verteidiger Klaus Wittmann sie aus dem Rechtsanwaltszimmer.
Die 39-Jährige wirkt ruhig. Ihren Mann beschreibt sie als akkurat und gewissenhaft. Er sei ein Workaholic, ein Familienmensch und liebevoller Ehemann. „Ab und zu nenne ich ihn Herrn Schmidt, weil er sehr deutsch ist.“ Das Gericht interessiert vor allem, wie sie vom Tod der in der Badewanne ertrunkenen Seniorin erfahren hat. Laut der Schilderung der 39-Jährigen war jener Oktobertag 2003 völlig ereignislos verlaufen. Am Nachmittag, als ihr Mann heimkam, hatte sie ihm noch die Haare gefärbt, mit einer Tönung speziell für Männerhaare. Danach fuhr das Ehepaar Genditzki mit seinem kleinen Sohn zu einem Besuch zu Genditzkis Mutter ins Krankenhaus. Als sie heimkehrten, wunderten sie sich, dass bei der 87-Jährigen noch Licht brannte. Von ihrer Wohnung in der Anlage in Rottach-Egern im Landkreis Miesbach aus hatten sie Sicht auf das Wohnzimmer der Seniorin. Dort sei um diese Uhrzeit üblicherweise nur das Fernsehlicht zu sehen gewesen, erinnerte sie sich im Gerichtssaal. Ihr war auch das Auto des Pflegedienstes aufgefallen. „Ich habe mich gewundert, dass es noch so spät da stand.“
Die Eheleute verrichteten ihre übliche Abend-Routine. Dann erhielt ihr Mann einen Anruf. Er sollte zu Lieselotte Kortüms Wohnung kommen. Daheim berichtete er von einem Polizisten, der gesagt hätte, dass die Seniorin im Badezimmer liege. „Wir haben noch spekuliert, was passiert ist“, erinnerte sich Marija Genditzki. „Und ob es Blut gibt, mein Mann hat nämlich Angst vor Blut“, fügte sie hinzu. Später sei ihr Mann dann nochmals gerufen worden. Nun erfuhr er, dass die 87-Jährige tot sei. Erst Tage später hätten beide von Genditzkis Mutter erfahren, dass Lieselotte Kortüm ertrunken war.
Die Aussagen der Ehefrau wurden abgeglichen mit ihren früheren Vernehmungen. Die 39-Jährige konnte sich nicht mehr an alles erinnern, was sie gesagt haben soll, insbesondere, dass sie rasch vom Tod der älteren Dame ausgegangen war. Sie sei damals wohl falsch verstanden worden, mutmaßte sie. Das Verhältnis von Genditzki und seiner Familie zu der alten Frau sei gut gewesen, schilderte sie. Sie sei eine „sehr nette, alte Frau, Dame“ gewesen. Sie habe dem kleinen Sohn Taschengeld gegeben – einmal 250 Euro für einen Urlaub – und Schokolade und ihr selber Schmuck. „Kindchen, ich hab was für dich“, habe die alte Frau dann zu ihr gesagt.
Auch die 36-jährige Tochter des Angeklagten aus einer früheren Beziehung sagte aus. Sie schwärmte von ihrem Papa. „Er kann keiner Fliege etwas zuleide tun“, sagte die 36-Jährige. „Ich hatte eine Traum-Kindheit.“ Ihr Vater hätte ihr alles ermöglicht, ihr sogar die Latein-Vokabeln abgehört, obwohl er kein Latein konnte. Die Tochter vermochte sich nicht vorzustellen, dass ihr Vater die Seniorin umgebracht hätte. „Als Kind hieß es immer, wenn man Mist gebaut hat, dann steht man auch dazu. Er hätte uns nicht leiden lassen“, sagte sie.