München – Die von Kurt Eisner entfachte Revolution und der Untergang des bayerischen Königreichs vor gut 100 Jahren wird von standhaften Anhängern der Monarchie gelegentlich bedauert. Die Revolution hatte aber auch zur Folge, dass die Wittelsbacher nun in Vermögens-Verhandlungen eintreten mussten – und in der Folge zahlreiche Besitzungen (Neuschwanstein!) entweder in das Eigentum des Freistaats übergingen oder aber (wie die Kunstschätze) öffentlich zugänglich wurden.
Es ist fast ein Wunder, dass die Vermögensverhandlungen in einem krisenreichen Jahrfünft schon 1923 abgeschlossen werden konnten – mit einem für beide Seiten gesichtswahrenden, im Ganzen auch gerechten Ergebnis, das der Professor für bayerische Geschichte, Dieter J. Weiß, nun im Jubiläumsband kenntnisreich nachzeichnet. Weiß ist mit einer detailreichen, wenngleich etwas devoten Biografie über den Kronprinzen Rupprecht hervorgetreten. Er bricht aber nicht den Stab über Eisner, sondern zeigt, dass der Sozialist kein radikaler Enteigner war. Er schreibt: „Die bayerische Revolutionsregierung Eisner ebenso wie ihre demokratisch gewählten Nachfolger wollten die Versorgung der Angehörigen des Königshauses gewährleisten und eine Form des Ersatzes für die bisherige Finanzversorgung schaffen.“ Was zum Privatvermögen zählte, wurde in schwierigen Verhandlungen geklärt, wobei der renommierte Staatsrechtler Prof. Konrad Beyerle die rechtlichen Grundlagen schuf. Am 3. Februar 1923 genehmigte die bayerische Regierung unter Ministerpräsident Eugen von Knilling das Übereinkommen, am 9. März der Landtag. Eckpunkte waren die Gründung des Wittelsbacher Ausgleichsfonds (WAF) als Stiftung des öffentlichen Rechts, dem der Staat Geld und Immobilien überwies. Dazu zählten etwa die Schlösser Hohenschwangau und Berchtesgaden, Berg am Starnberger See, das (später verkaufte) Schloss Ludwigshöhe in der Pfalz, aber auch 12 500 Hektar Wald und Agrarland bei Neuburg. Auch Sonderrechte wie die Nutzung einer Loge im Nationaltheater oder das Wohnrecht im Schloss Nymphenburg wurden festgeschrieben. Es gibt sie bis heute. Auch eine kleinere Hofhaltung wurde dem Chef der Wittelsbacher erlaubt. Zudem verpflichtete sich der Freistaat zur Zahlung von 40 Millionen Mark – wobei es die Wittelsbacher versäumten, eine Wertbeständigkeitsklausel einzufügen, sodass die Zahlung durch die Hochinflation entwertet wurde. Kronprinz Rupprecht, so schreibt Weiß, gab in seinen Lebenserinnerungen dem von seinem Vorgänger Ludwig III. ernannten Verhandlungsführer, Rechtsanwalt Hermann von Stengel, die Schuld.
Im Gegenzug erhielt der Freistaat umfangreichen Wittelsbacher-Besitz – bekannt sind natürlich die Schlösser Neuschwanstein, Linderhof und Herrenchiemsee. Leider zeichnet Weiß nicht nach, warum genau diese Schlösser in Staatsbesitz übergingen, andere dagegen zum WAF geschlagen wurden. Besonders das Schloss Berg, letzter Aufenthaltsort König Ludwig II., könnte heute wahrscheinlich mit hunderttausenden Besuchern jährlich rechnen – wenn es denn nicht in Privatbesitz der Wittelsbacher geblieben wäre (und noch dazu mit einer hohen Mauer bis heute uneinsehbar ist). Es ist schade, dass zu dem Schloss von den Wittelsbachern bis heute nie öffentliche Besichtigungstermine angeboten werden. In dem Band werden die einzelnen Besitzungen des einstigen Königshauses exemplarisch vorgestellt – auch Immobilien, die der WAF nach 1945 erwarb (wie etwa Wohnanlagen), gehören dazu.
Vielleicht noch wichtiger war, dass die Wittelsbacher ihre Kunstschätze großteils an den WAF übertragen durften – dies jedoch an die Bedingung der öffentlichen Besichtigung in Museen geknüpft wurde. Das Kunst- und Kulturvermögen, das im Band aufgelistet wird, ist imposant: 3771 Skulpturen, Vasen und Bronzen in der Antikensammlung, 927 Gemälde und Plastiken in der Staatsgemäldesammlung (darunter die Rubens-Sammlung), 160 Objekte in der Archäologischen Staatssammlung. Dazu Bestände im Museum Fünf Kontinente, im Armeemuseum, in der Graphischen Sammlung und, und, und. Kurz: Man kann zwar manche der 1923 zugestandenen Privilegien der Wittelsbacher heute für überholt halten. Im Ganzen aber war (und ist) die Übereinkunft ein Glücksfall für Bayern.
Man muss aber auch sagen: Ohne die Revolution gäbe es all diese Touristenattraktionen heute nicht – das meiste wäre wohl abgeschottet von der Außenwelt. DIRK WALTER
Markus C. Müller/ Dieter J. Weiß (Hg.)
„Der Wittelsbacher Ausgleichsfonds 1923 bis 2023“, Pustet Verlag, 39,95 Euro.