München – Selten gab es so viel Aufruhr wegen einer Märchenlesung für Kinder: Rund 750 Menschen demonstrierten gestern vor der Münchner Stadtbibliothek am Rosenkavalierplatz, weil zwei kostümierte Drag-Künstler aus Bilderbüchern vorlasen. Während es drinnen eher still und heiter um Prinzessinnen, Hasen und Frösche ging, tobte draußen der Politsturm. Die Befürworter der Lesung waren klar in der Überzahl: Besonders laut verschaffte sich die Initiative „München ist bunt“ Gehör.
Insgesamt um die 500 Vertreter aus SPD, Grünen und diversen linken Gruppen verteidigten die lesenden Drags. „Heute zeigt sich, dass in München Hass und Hetze keinen Platz haben“, rief die „München ist bunt“-Vorsitzende Micky Wenngatz. Und die Zuschauer skandierten „Es gibt kein Recht auf rechte Propaganda“. Auch Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) zeigte Solidarität mit den Drags.
Die Gegner machten seit Wochen Stimmung gegen die Lesung, neben der AfD auch Vertreter der CSU und Bayerns Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger, der wegen angeblicher Kindeswohlgefährdung nach dem Jugendamt rief. Die AfD kegelte sich bei der Veranstaltung allerdings selbst ins Aus: Sie hatte keine Mikrofone und Lautsprecher mitgebracht, konnte sich also kein Gehör verschaffen. „Wir diskriminieren nicht Homosexuelle, sondern möchten Gender-Propaganda in Kindergärten verhindern, sagte René Dierkes, Vorsitzender der AfD München-Ost. Die Gruppierung „Ulli Pfeffer and Friends“ teilte später das eigene Mikrofon mit den Blauen.
Zwischendurch verschaffen sich sieben Jugendliche der Identitären Bewegung Zutritt zur Bibliothek. Die Lesung finden sie nicht, sie ist in einem anderen Bereich. Kurz darauf führt die Polizei die Jugendlichen ab.
Derweil ging es im ersten Stock der Bibliothek ruhig zu. Die viel kritisierten Leser, Vicky Voyage und Eric BigClit, traten als Eiskönigin Elsa und der Kleine Prinz mit umgehängtem Fuchs auf. Sie wurden den Kindern im rund 70-köpfigen Publikum als „Vicky und Eric“ vorgestellt – ohne die pikanten Nachnamen. Es wurde aus Disney-Filmen gesungen und aus Bilderbüchern zum Thema „Anderssein“ gelesen, die Kinder durften an vielen Stellen mitmachen und ihre Meinung rufen.
„Beide lesen gut, aber der Prinz war lustiger“, urteilte hinterher der fünfjährige Sohn von SPD-Stadträtin Lena Odell. „Die Bücher waren gut gewählt“, befand diese.
Die Münchner Stadtbibliothek hatte im Vorfeld der Lesung massive Drohungen erhalten. „Wir wurden sogar gefragt, ob unsere Fenster kugelsicher sind“, berichtete Direktor Arne Ackermann. Die Folge davon war, dass die Lage zu unsicher wurde für Julana Gleisenberg – das 13-jährige Kind, das als Junge zur Welt gekommen ist und sich als Mädchen definiert, hätte bei der Veranstaltung lesen sollen. Das wollte die Familie ihrem Kind bei all dem Trubel aber doch ersparen – sie sagte die Teilnahme ab.