Ermutigung für Missbrauchsbetroffene

von Redaktion

Schmerzensgeld-Urteil von Köln wird auch in Bayern als Meilenstein bewertet

München/Köln – Er ist froh, dass ihm ein Stück Gerechtigkeit widerfahren ist. Und dass er vor Gericht nicht zusammengebrochen ist. Georg Menne hat als Kind Furchtbares durchgemacht: Über 300 Mal wurde er als Ministrant von einem katholischen Priester in dessen Ferienhaus missbraucht. Am Dienstag erreichte der 64-Jährige vor dem Kölner Landgericht ein wegweisendes Urteil: Erstmals hat ein staatliches Gericht ein katholisches Bistum in Deutschland zu einem Schmerzensgeld in Höhe von 300 000 Euro verurteilt.

„Das ist der erste Fall, in dem Schmerzensgeld und Entschädigung gezahlt wird“, zeigt sich Richard Kick, Sprecher des Betroffenenbeirats im Erzbistum München und Freising, gestern erleichtert. „Das ist ein sehr, sehr gutes Zeichen, denn die Anerkennungsleistungen, die bis heute von der katholischen Kirche gezahlt wurden, sind Almosen. Jetzt geht es tatsächlich darum, dass echte Geldleistungen, die so wichtig sind, an Betroffene bezahlt werden“, sagt er unserer Zeitung. Man müsse das Urteil als Präzedenzfall sehen, meint der 66-Jährige. Wie in Köln so habe auch das Erzbistum München und Freising darauf verzichtet, eine Verjährung zu beanspruchen.

Am kommenden Dienstag startet vor dem Landgericht Traunstein ein Zivilprozess, bei dem ein Missbrauchsbetroffener 350 000 Euro Schmerzensgeld von den Erben des verstorbenen Papstes Benedikt XVI. und vom Erzbistum München und Freising fordert. Der Kläger gibt an, im Pfarrhaus von Garching/Alz vom verurteilten Wiederholungstäter Peter H. missbraucht worden zu sein.

Kick hofft nun sehr, dass in Zukunft auch in anderen Fällen bei den Diözesen so verfahren wird wie in Köln und München: „Dass auf die Einrede der Verjährung verzichtet wird. Damit kann ein Prozess überhaupt nur stattfinden.“ Für Kick gilt es nun zu beobachten, „wie geht es hier in Traunstein weiter“. Viele Betroffene seien nun nach dem Kölner Urteil aber zuversichtlich, dass es künftig ernsthafte Geldleistungen geben könne. „Es ist kein einfacher Weg, einen solchen Prozess zu bestreiten. Man muss sich entsprechend vorbereiten, dezidierte Unterlagen und einen guten Rechtsbeistand. Aber der Weg wird jetzt gangbar – und das ist ein tolles Zeichen für Betroffene“, sagt Kick. Er selber spiele auch mit dem Gedanken. Missbrauchsgeschädigte können sich zur Beratung auch an den Betroffenenbeirat wenden. Jeder müsse für sich entscheiden, ob er den Prozessweg einschlagen werde – „aber die Chance besteht, jetzt tatsächlich eine angemessene Geldleistung zu erhalten“. Das Kölner Urteil ist für ihn denn auch eine echte Zäsur. Auf das Münchner Erzbistum könnten daher auch erhebliche Zahlungen zukommen. Bei einem „Milliarden-Bilanz-Volumen“ der Erzdiözese sei das aber auch relativ“. Kick geht davon aus, dass dafür auch schon Rückstellungen gebildet worden seien. „Es kommen ja auch nicht auf einen Schlag 1000 Betroffene auf das Erzbistum zu, die alle eine Million haben wollen.“ Schritt für Schritt werde es zu Gerichtsverfahren kommen.

Der Kölner Staatsrechtler Stephan Rixen, der auch im Deutschen Ethikrat sitzt, nennt das Kölner Urteil einen „Meilenstein“. Es mache klar, „dass sich die katholische Kirche nicht mit Almosen freikaufen kann“. Der Sprecher des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth, fordert als Konsequenz aus dem Urteil deutlich höhere Zahlungen der Anerkennungsleistungen. Jetzt gebe es ein Vergleichsurteil, das die Bischofskonferenz berücksichtigen müsse.

Georg Menne hat viele Jahre intensiver Therapie hinter sich. Fertig sei man damit aber nie: „Die Flashbacks kommen immer wieder.“

CLAUDIA MÖLLERS (mit dpa)

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