Die letzten Wochen waren für mich besonders traurig. Wieder treffen Raketen die Gegend, in der meine Eltern leben. Papas „Uns geht es gut“ zu Beginn jedes Telefongesprächs klingt immer weniger überzeugend. Neulich gab es drei Explosionen unweit unseres Hauses. Zudem begann der Luftalarm erst später und nicht wie immer vor dem Angriff. „Das Haus wurde heftig erschüttert. Es war genauso beängstigend wie in den ersten Kriegstagen“, gab mein Vater zu. Später ging er angeln. Es gab erneut Luftangriffsalarm. Er begann den Telegram-Kanal zu lesen, wo die wahrscheinliche Flugbahn von Raketen in Echtzeit auf dem Radar übertragen wird. In diesem Moment flog eine der Raketen in den Himmel über ihm. Aufgrund der Zerstörung des Kachowka-Staudamms und großflächiger Überschwemmungen wurden viele Gegenstände an unsere Küste bei Odessa geschwemmt –Minen, Äste, Fenster, Sofas, Kühlschränke, Gasflaschen, Autos, Dächer und manchmal ganze Gebäude. Die Küstengewässer sehen surreal aus. In der Nähe meines Hauses am Ufer der Mündung wurde ein totes Reh aus einem überfluteten Zoo in der Region Cherson gefunden. Ein Hund hatte mehr Glück und wurde lebend auf eine Pflanzinsel ans Ufer angetrieben. Natürlich sind einige Strände meiner Heimatstadt wieder mit Stacheldraht eingezäunt. Im Schwarzen Meer kommt es zu unkontrollierten Munitionsexplosionen.
Wenn ich solche Nachrichten aus meiner Heimat erhalte, überfällt mich wieder die Hoffnungslosigkeit, die mich in den ersten Kriegsmonaten geplagt hatte. In solchen Momenten versuche ich, so viel Zeit wie möglich in der Natur zu verbringen. Immer häufiger unternehme ich ausgedehnte Streifzüge durch den Wald, in die Berge oder am See entlang. Neulich bin ich zum wunderschönen Kochelsee gefahren. Dort habe ich fast den Sonnenspitz-Gipfel erreicht. Dann ist ein Sturm aufgezogen und ich machte mich auf den Rückweg. Wieder einmal merkte ich, dass Berge nicht zu unterschätzen sind. Für eine Radtour rund um den Ammersee bin ich erstmals mit meinem Fahrrad mit der Bahn gefahren. Dieser Ausflug war unvergesslich.
Doch um Trost in der Natur zu finden, ist es nicht notwendig, München zu verlassen. Kürzlich habe ich die Schrebergärten entdeckt, die an den Westpark grenzen. Dort herrscht eine friedliche Atmosphäre, man kann in jeden Garten blicken, Vogelgezwitscher lauschen und wunderschöne Pflanzen betrachten. Jedes Grundstück ist ähnlich groß, aber gleichzeitig so unterschiedlich in der Gestaltung. Von Gartenzwergen und alten Schaukelstühlen bis hin zu Solarmodulen auf Dächern und riesigen Grills. Man kann sehen, wie die Deutschen, die das Glück hatten, einen solchen Garten zu mieten, sich um ihn kümmern. Jetzt gehe ich sehr oft dorthin. Es heilt meine Seele und gibt mir Hoffnung, dass dieser schreckliche Krieg bald enden wird.