Fischbachau – Michael Hutter jagt um diese Jahreszeit eigentlich permanent Blitz und Donner hinterher. Daheim in Fischbachau im Kreis Miesbach war dem Sturmjäger die letzten Wochen aber ziemlich langweilig. „2023 ist verglichen mit den letzten 20 Jahren eines der gewitterärmsten Jahre“, sagt er. Bisher war die Hitze hier in Oberbayern knochentrocken, erst ab heute wird es schwüler. Am Abend wird es wohl bis ins Alpenvorland schon die ersten Gewitter geben – Tendenz steigend.
„Am Donnerstag könnte es spannend werden: Die Wettermodelle sind sich einig, dass explosive, also extrem energiereiche Luftmassen aus Südwesten nach Bayern und Österreich ziehen“, sagt Hutter. „Das sind Werte wie aus den USA. Die sind hier nicht alle Tage vorausgesagt – und könnten für die Infrastruktur potenziell gefährlich werden.“ Übersetzt heißt das: Sturmböen mit einer Windstärke von über 120 Stundenkilometern, große Regenmengen und Hagelkörner mit einer Größe von bis zu acht Zentimetern könnten die Gewitter mit sich bringen. „Als vergangenen Juni die Hagelkörner in Bayrischzell tennisballgroß waren, waren die Prognosen weniger explosiv angesagt“, sagt er.
Bis zu zwei Stunden täglich sitzt der 30-Jährige gerade vor seinem Laptop, beobachtet die Prognosen und wertet Wettermodelle aus. Immerhin muss er dem Geschehen stets voraus sein: Im Auto versucht der Sturmjäger zwar nicht direkt im, aber immer knapp vor dem Unwetter zu sein – und spektakuläre Fotos von den Blitzen zu machen.
Vor ein paar Tagen hat der Wetterbericht Michael Hutter, der in der Verwaltung eines Krankenhauses arbeitet, nicht mehr daheim gehalten. Er hat kurzerhand sein Equipment gepackt, ist ins Auto gestiegen und nach Frankreich gefahren – auf der Suche nach Adrenalin. „Bisher hatte ich in Bayern nur einen Sturm fotografiert – am 5. Mai bei Augsburg“, erzählt er. Nach tausenden Kilometern hat er zwar nur im Auto geschlafen, aber jetzt die ersten Bilder von grell zuckenden Blitzen im Kasten. „Gestern sind noch einige Kollegen aus ganz Deutschland nachgekommen.“
In der Gruppe ist die Gewitterjagd ungefährlicher: Einer fährt, einer navigiert, einer verfolgt die Wetterlage. Die besten Bilder entstehen dort, wo es noch nicht regnet, der Sturm aber gut sichtbar tobt. „Wie schwer das Unwetter ausfällt, liegt an der Windscherung“, erklärt Michael Hutter. „Gewitterluft ist in der Höhe eine schnelle südwestliche Strömung – am Boden aber kommt die Luft meist aus Osten.“ Durch die rotierenden Aufwinde drehen sich die dunklen Ungetüme oft wie wild ineinander – begleitet von Donnergrollen und Wind.
Die Tendenz für schwere Gewitter erkennen Sturmjäger in ihren Programmen schon vier bis fünf Tage vorher. Ein bis zwei Tage vorher wird die Prognose verlässlicher. Also fuhr Hutter zuerst nach Paris. Dann ließ sich der Fischbachauer von der schweren Gewitterfront weiter Richtung Orléans treiben.
In Frankreich haben sich die Gewitterjäger nur warm geknipst. „Wir fahren spätestens am Mittwoch Richtung Alpen“, sagt Hutter. „Süddeutschland ist in der Sturmjäger-Szene als das Nonplusultra bekannt.“ Kein Wunder: Statistiken belegen, dass in Baden-Württemberg im bundesweiten Vergleich die meisten Blitze pro Quadratkilometer einschlagen. Bayern folgt auf Platz 2. Deshalb sieht Hutter sein Hobby auch als Schutz für den Bürger: Sturmjäger melden Hagel und gefährliche Wetterlagen auch an die Wetterdienste.
CORNELIA SCHRAMM
Süddeutschland gilt in der Szene als das Nonplusultra