Traunstein – Die Beine von Andreas Perr zittern. Blass steht der 39-Jährige in blauen Shorts und weißem T-Shirt vor dem Landgericht Traunstein, ist sichtlich aufgeregt. In wenigen Minuten beginnt im Sitzungssaal B33 sein Schadensersatzprozess gegen das Erzbistum München und Freising. „Kindesmissbrauch ist seelischer Mord“, sagt der Maler und Lackierer mit leiser Stimme vor dem Gerichtsgebäude. „Dafür müsste eigentlich mindestens eine Million Euro gezahlt werden.“
Zahlreiche Journalisten sind an diesem schwülheißen Sommertag nach Südostbayern gereist, denn hier beginnt nach dem aufsehenerregenden Urteil vom Landgericht Köln vor einer Woche, wo einem Missbrauchsbetroffenen 300 000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen worden sind (wir berichteten), das zweite Gerichtsverfahren gegen die Institution der katholischen Kirche. Die Frage ist: Schließt sich das Landgericht Traunstein der Tendenz des Kölner Urteils an, das der Kirche eine institutionelle Verantwortung zugewiesen hat?
Passend zum Prozessbeginn hat sich Perr noch umgezogen. Jetzt sitzt er in weißem Oberhemd und langer Hose, flankiert von seinen Anwälten, auf der linken Seite des Gerichtssaals. Dass Perr als 12-jähriger Bub im Pfarrhaus von Garching an der Alz von Pfarrer Peter H. sexuell missbraucht worden ist, ist unstreitig, stellt die Vorsitzende Richterin Elisabeth Nitzinger-Spann zu Beginn der Verhandlung fest. Das erkennt auch der Anwalt des Erzbistums München und Freising ausdrücklich an, der mehrfach das Leid des Betroffenen bedauert. Die Richterin betont weiter, dass sie einen Haftungsanspruch gegen das Erzbistum grundsätzlich als gegeben ansieht. „Es stellt sich nur noch die Frage nach der Höhe des Anspruchs.“
Doch ein Vergleich scheitert vor Gericht nach einem Disput zwischen dem Anwalt des Klägers, Andreas Schulz, und dem Vertreter des Erzbistums, Dieter Lehner. „Die Erzdiözese erkennt die Verantwortung des Handelns ihrer Amtsträger an und ist bereit, angemessenen Schadensersatz und Schmerzensgeld zu bezahlen“, sagt Lehner. Aber für die Bewertung der Angemessenheit fehlten einfach die entsprechenden Angaben. Auch das Gericht sah sich dazu nicht in der Lage, eine angemessene Summe zu beziffern. Aus einem schnellen Vergleich wird also nichts.
Zwei Wochen haben Perr und sein Anwalt nun Zeit, um ihre Argumentation noch einmal darzulegen. Am 14. Juli will das Gericht dann mitteilen, wie es in dem Verfahren weitergeht. Dann wird das Gericht in eine umfangreiche Beweisaufnahme eintreten – der Lebenslauf des Klägers, sein Absturz in Alkoholismus und Drogensucht müssen wohl detailliert erfasst und begutachtet werden. Es ist zu klären, ob diese Lebensbrüche ursächlich auf den Missbrauch zurückzuführen sind. Die vom Anwalt des Klägers eingereichten Gutachten und Atteste reichen dafür nicht. Dafür braucht es eigens ein vom Gericht bestelltes psychiatrisches Gutachten.
Andreas Perr zeigt sich nach dem Prozessauftakt enttäuscht. „Ich finde es schade, dass die Kirche keine Einigung will.“ Dass er die Folgen des Missbrauchs nun noch einmal beweisen müsse, versteht er nicht. Aber: „Wir werden weiterkämpfen.“ Richard Kick, Sprecher des Betroffenenbeirats im Erzbistum, ist ebenfalls enttäuscht. Er könne das Gericht verstehen, dass es nicht einfach so eine Summe nennen könne. „Aber was mir nicht gefällt ist, dass das Erzbistum nicht im Vorfeld eine Einigung angestrebt hat.“