München – Im steten Fluss der Nachrichten, die tagtäglich auf uns alle niederprasseln, gibt es eine Konstante: Das ist der Meidinger. Heinz-Peter Meidinger (68), bis 2020 Direktor eines Deggendorfer Gymnasiums. Bis 2017 Chef des Deutschen Philologenverbands. Und heute ist sein letzter Tag als Präsident des Deutschen Lehrerverbands.
Genau betrachtet ist der Lehrerverband eine Dachorganisation verschiedener anderer Lehrerverbände. Aber eigentlich ist der Lehrerverband ein Ein-Mann-Verein. Meidinger ist der Lehrerverband. Punkt.
Man kennt ihn aus den Nachrichten. Beschreibe ein Schulproblem stimmig in fünf Sätzen: Das ist ein Meidinger. Und er ist rastlos bis zuletzt. Überspitzt gesagt: Unseren täglichen Meidinger gib uns heute. Meidinger fordert Hitzeschutz an Schulen. Das war erst gestern. Meidinger ist gegen Englischunterricht an Grundschulen. Gefühlt vorgestern. Meidinger zum Lehrermangel. Zur KI. Zur Integration ukrainischer Schüler. Corona. So geht es seit Jahren.
Ploppte irgendwo ein Schulthema auf – auf Meidinger war Verlass. Er hat eine Meinung. Die Handynummer steht auf der Homepage des Lehrerverbands – und Meidinger hebt tatsächlich auch verlässlich ab. Dann staunt man, dass er bei jeder noch so abseitigen Frage mindestens eine gesicherte Ahnung von dem Thema hat.
Meidinger war über 30 Jahre im Geschäft. Schon beim Studium an der Uni Regensburg fing es an. Als Mitglied der unionsnahen Studentenvertretung RCDS macht er schon in den frühen 1980er-Jahren Bildungspolitik, „einmal sogar zusammen mit den Kommunisten“, wie er erzählt. Als Gymnasiallehrer für Deutsch, Geschichte und Sozialkunde betrieb er Bildungspolitik quasi als Nebenjob, er wurde Pressesprecher im Philologenverband – und ein wichtiger Informant für Journalisten. Seine wohl dramatischste Phase hier begann, als Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber 2003 in einer Hauruck-Entscheidung das neunjährige Gymnasium auf acht Jahre verkürzte. Damals wurden Schulleiter, die die Entscheidung mutig kritisierten, ins Kultusministerium zitiert und von Ministerin Monika Hohlmeier persönlich zusammengestaucht.
Meidinger gehörte nicht zu ihnen, er wusste zu trennen zwischen seinem Amt in der Schule und dem Ehrenamt im Verband. Aber er gab sein Insider-Wissen preis (auch dieser Zeitung), er war von Anfang an Gegner des G8, eckte damit zeitweise sogar im Verband an, der nur langsam auf einen Konfrontationskurs zur Schulpolitik umsteuerte. Bis dann das G8 kippte und Bayern wieder das G9 einführte. Diese Umkehr war zweifellos eines seiner politischen Ziele – Mission erfüllt. Das kann nicht jeder Verbandspolitiker von sich behaupten.
50 000 Kilometer im Jahr absolvierte er phasenweise in seinem Diesel-Pkw. Immer Vollgas. Termin auf Termin bundesweit. Von der Bildungstagung zur Ministeriums-Anhörung weiter zum Schulkongress und von dort zur Verbandssitzung. Das volle Programm. Obwohl konservativ gewandet – er ist seit 1989 CSU-Mitglied, „nach Strauß“, wie er betont – hörte ihm jeder zu. Das lag auch daran, dass er ohne falsche Rücksichtnahmen auch Fehlentwicklungen in der Schulpolitik der Union kritisierte.
Meidinger wäre wohl nicht Meidinger, wenn er jetzt lautlos gehen würde. Zum Abschied rechnet er mit der derzeitigen bayerischen Schulpolitik regelrecht ab. Meidinger war 2018 vielleicht nicht entsetzt, aber doch erstaunt, dass die CSU in Bayern das Kultusministerium so lautlos aus der Hand gab. Die CSU eines Hans Maier oder Hans Zehetmair war früher eine Macht in der Schulpolitik, sagt Meidinger. „Die bayerische Position wurde respektiert in der Kultusministerkonferenz.“ Das ist Vergangenheit.
Der Freie Wähler Michael Piazolo sei „ein netter, kluger Mensch“, aber eben keine Lichtgestalt. „Ich höre nie bei Schulpolitikern: Schaun wir mal, was Piazolo macht.“ Man erwartet, dass „er sagt, wo es hingeht, dass er Rahmen setzt, dass er Probleme klar benennt“. Aber da komme wenig. Ob die Union die Schulpolitik wieder als eines ihrer Themenfelder besetzen wird, ist für Meidinger eine offene Frage.
Was nun? Anders als sein Vorgänger, der irgendwie abgedriftet ist und nur noch in stramm rechten Gazetten mit steilen Thesen zur „Umerziehung“ durch die „1968er“ Gehör findet, will Meidinger künftig Abstinenz wahren und sich nicht mehr einmischen. Kein „Meidinger“ mehr in den Nachrichten? Kaum vorstellbar.
Die Rückkehr zum G9 ist auch sein Verdienst
Über Bayerns
Kultusminister
enttäuscht