Rottach-Egern – Der Staatsanwalt machte es nicht lange spannend. „Am Ende meines Plädoyers steht, den Angeklagten freizusprechen“, sagte er nach etwa der Hälfte seines Schlussvortrags. Die Staatskasse sei verpflichtet, ihn für die 13 Jahre in Haft zu entschädigen. In diesem Moment dürfte sich Manfred Genditzki zum ersten Mal an diesem Prozesstag etwas entspannt haben. Doch Staatsanwalt Schönauer forderte nicht den makellosen Freispruch, sondern den Freispruch mangels Beweisen. Das stieß Verteidigerin Regina Rick etwas sauer auf. Sie sprach von einer „bösartigen Anklage“, von einer „Erfindung der Justiz“ und sagte: „Es darf kein Makel an ihm bleiben, das muss im Urteil stehen.“
Dabei hatte der Staatsanwalt eine sehr plausible Begründung für seine Forderung geliefert. Demnach war die Frau ins Badezimmer gegangen, um sich ein Fußbad einzulassen. Das war ihr Plan gewesen, das hatte sie dem Hausmeister noch gesagt. Sein Angebot, ihr Wasser in eine Plastikschüssel zu schütten, lehnte sie ab. Was dann passierte, ist unbekannt, weil Manfred Genditzki die Wohnung verließ. Vermutlich stürzte die nach einer Durchfallerkrankung geschwächte und zu Stürzen wie Schwindel neigende Seniorin in die Wanne.
Dieser Hergang war in keinem der vorangegangenen Urteile bedacht worden. Dort war immer nur von der Abneigung der alten Dame zu ihrer Badewanne die Rede. Für die Variante des Staatsanwaltes sprach aber auch ein schlampig aufgehängter Duschkopf und die Affinität der 87-Jährigen zur Vorwäsche per Hand. Denn eigentlich brachte ja Genditzki ihre Sachen in eine Gemeinschafts-Waschmaschine im Keller des Hauses.
Doch bevor Michael Schönauer seine These präsentierte, stand für ihn gar kein Täter im Fokus, sondern die Frage: War der Tod der 87-jährigen Lieselotte Kortüm ein Unfall oder eine Tat? Dieser Umstand sei im gesamten Prozess immer wieder aus den Augen verloren worden, sagte Schönauer. Möglicherweise lag es daran, dass schon 2008 die Ermittlungen der Kripo Miesbach von Anfang an von einem Täter ausgegangen waren und ein Unfall gar nicht zur Debatte gestanden hatte.
Als die Renterin damals in der mit Wasser gefüllten Wanne ihrer Wohnung in Rottach-Egern bei Miesbach tot aufgefunden wurde, geriet der 63-Jährige rasch ins Visier der Ermittler. Er war die einzige Kontaktperson zu Lieselotte Kortüm. Nach dem Tod ihres Mannes kaufte Genditzki für sie ein, wusch ihre Wäsche, erledigte Botengänge, fuhr sie zum Arzt oder zum Friseur. Dafür enthielt er von der alten Dame Geld. Sie gab ihm auch Schmuck und zwei Pelzmäntel. Den Schmuck brachte er sofort zurück zur Polizei. Er wollte nicht als Erbschleicher dastehen.
Was ihn für die Beamten auffällig machte, bezeichneten seine Verteidiger als Überkorrektheit des Mannes. Das bestätigte auch ein Telefonat mit seiner Frau, das die Vorsitzende Richterin des Landgerichts München I, Elisabeth Ehrl, noch kurz vor den Plädoyers verlesen hatte. Darin hatte sich seine Frau über die Rückgabe des schönen Schmucks beklagt. Doch ihm war eine „saubere Weste“ wichtiger gewesen.
Verteidigerin Rick und ihr Kollege Klaus Wittmann führten in ihren Plädoyers so ziemlich alles auf, was im Fall Genditzki grundlegend falsch gelaufen war. Die Hauptschuld aber für die rasche Einschätzung als Tat gibt Regina Rick dem damaligen Rechtsmediziner, der gesagt haben soll, dass er von einem Tötungsdelikt ausgehe. Daraufhin seien die Ermittlungen in Gang gekommen. Die Anwältin will ihn verklagen – oder den Freistaat in Amtshaftung nehmen. Genditzki saß 13 Jahre in Haft.
Und was sagte der Angeklagte im letzten Wort? „Danke, Frau Rick, dass Sie so lange durchgehalten haben. Sie sind ein toller Mensch. Ich bin unschuldig. Das war’s.“ Das Urteil soll an diesem Freitag fallen.