Es ist kaum zu glauben, dass der Krieg nun schon das zweite Jahr andauert. Eine monatliche Spende an die ukrainische Armee oder Kriegsopfer ist mittlerweile so gewöhnlich für mich wie die Mietzahlung oder das Aufladen meines Telefonkontos. Doch die Situation verschlechtert sich allmählich. Jetzt haben die Ukrainer Angst davor, dass Russland das Kernkraftwerk Saporischschja in die Luft sprengt. Meine Mutter hört sich die Nachrichten über die Evakuierungsregeln beim Auftreten eines Strahlenunfalls an und mein Vater überlegt, wohin sie fliehen könnten – nach Moldawien oder Rumänien. Es scheint alles so unwirklich zu sein. Aber einst schien mir auch die bloße Möglichkeit eines Krieges unrealistisch. Kürzlich marschierten hunderte Demonstranten direkt vor meinem Haus die Straße entlang. „Frieden schaffen ohne Waffen“, donnerte es aus Lautsprechern. Man sollte glauben, diese Demo gegen Waffenlieferungen an die Ukraine hätte bei mir ein Gefühl des Unmuts hervorrufen müssen. Denn ohne die Hilfe Europas wären wir längst Teil Russlands geworden. Allerdings weiß ich selbst nicht, was besser ist – bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen oder den Widerstand aufzugeben und Menschenleben zu retten.
Inmitten all dieses Schreckens, den ich nicht ignorieren kann, geschehen auch gute Dinge in meinem Leben. Als Freiberufler muss ich zusätzliche Steuern zahlen. Ich lernte lange deutsche Worte wie Einnahmenüberschussrechnung oder Jahresvorauszahlungsbetrag kennen. Zuerst musste ich mich in Elster anmelden, eine Steuernummer beantragen, dann eine Steuererklärung abgeben, um einen Bescheid zu erhalten. Am Anfang schien mir das alles so kompliziert. Ich suchte nach einem Steuerberater, der mir helfen würde. Ich habe mehr Zeit mit der Suche verbracht als mit der Steuererklärung selbst. Die habe ich letztendlich alleine geschafft. Ich war immer in Kontakt mit dem Finanzamt, die Mitarbeiter haben mir sehr geholfen. Einmal rief mich sogar eine Mitarbeiterin an, um einen Punkt in meinen Unterlagen zu klären. Sie fragte höflich, ob ich Zeit für ein Gespräch hätte. In diesem Moment war ich so glücklich und überrascht, dass ich sofort rief: „Natürlich, für das Finanzamt habe ich immer Zeit!“ Die Mitarbeiterin lachte laut auf. Nachdem ich alle meine Steuern bezahlt hatte, fiel von mir eine Last ab. Jetzt versuche ich öfter in der Isar schwimmen zu gehen, bayerische Feste zu besuchen und mehr und mehr die deutsche Kultur aufzusaugen, die ich so sehr liebgewonnen habe.